Um die Mitte des 17. Jahrhunderts kam es dann dazu, dass Kinder nicht nur als Zeugen, sondern auch als Angeklagte in die Hexenprozesse involviert wurden, sagt Jarzebowski. Als Täter und Täterinnen mussten sie sich vor Gericht verantworten, wurden verhört, gefoltert und verurteilt. Es wurde nicht mehr ausgeschlossen, dass auch getaufte Kinder vom Satan verführt und seinem Sinne aktiv werden konnten. Allerdings galten sie nicht als von sich aus böse. Den Eltern wurden mangelnde Erziehung und unzureichende religiöse Unterweisung vorgeworfen.
Im Zuge der andauernden Hexenprozesse, in die Kinder zunehmend tragende Rollen spielten, kamen einige Gelehrte zu der Überzeugung, dass Kinder auch von sich aus böse sein und dem Teufel freiwillig dienen könnten. Im gesamten 17. und frühen 18. Jahrhundert stellten Kinder in den Hexenprozessen der dritten großen Verfolgungswelle wahrscheinlich einen Großteil der Angeklagten.
Das Skurrile an diesen Kinderprozessen, war, dass sich die Mädchen und Jungen meistens selbst für ihre Taten bezichtigten. So behaupteten sie beispielsweise, mit dem Teufel zusammen gewesen oder eine Hexe zu sein. Die Vorwürfe, die das Gericht daraus erhob, unterschieden sich jedoch von denen gegen Frauen. Während Frauen oftmals beschuldigt wurden, freiwillig mit dem Teufel zu schlafen, galten Kinder eher als unschuldig verführt. Sie besaßen im gesellschaftlichen System eine andere Stellung. In ihrem jungen Alter hofften die Gerichte, dass zunächst noch einfache Erziehungsmaßnahmen greifen könnten.
Aber wie kamen die Kinder dazu, sich selbst der Hexerei zu bezichtigen? Wahrscheinlich war dies eine Möglichkeit für die Kinder, mit dem Erlebten umzugehen, vermutet Jarzebowski. Da Hexerei ein allgemeines Dorfgespräch war, hörten auch die Kinder von den Gerüchten, Erzählungen und Anklagen. Dieses Geschehen wirkte natürlich auf die Kinder und sie mussten damit irgendwie umgehen. Somit eigneten sie sich das Gehörte an, setzten es in eigene Erzählungen um und brachten so ihren Beitrag zum Dorfgespräch. Vor Angst um ihre Kinder griffen viele Eltern wieder zu alten volksmagischen Praktiken und versuchten, sie vor dem Teufel mit Amuletten oder ähnlichem Aberglauben zu schützen.
Das sah die Obrigkeit wiederum überhaupt nicht gern und wollte die Eltern gewaltsam zum richtigen Glauben zurückbringen. Da waren die Kinder als Druckmittel gerade recht, zumal sie sich sogar selbst beschuldigt hatten. Die Obrigkeit wollte also weniger die Kinder als vielmehr die Untertanen insgesamt mit ihren Maßnahmen disziplinieren. “Mit den Kindern sollten auch die Eltern erzogen werden”, erklärt Jazebowski. Zudem konnten die Herrscher, indem sie die Eltern dazu aufriefen, ihre Kinder zu disziplinieren, ihren Einfluss auf das Volk noch weiter ausdehnen.
Allerdings standen für die Forschungen nur wenige Unterlagen von Originalprozessen zur Verfügung. Bei den meisten Quellen handelt es sich um Berichte, die durchaus stark gefärbt sein können, meint Jazebowski. Gerade bei dem Sachverhalt der Selbstbezichtigungen muss das beachtet werden. Indem die Erwachsenen die Kinder der Selbstbezichtigung beschuldigten, konnten sie die Schuld und die damit verbundenen Probleme von sich weisen.
Die eingehende Auseinandersetzung mit den Kinderhexen kann viel Neues über die Vorstellung von Kindheit in der frühen Neuzeit hervorbringen, glaubt Jarzebowski. Außerdem liefert sie einen neuen Blick auf die gesamten Hexenprozesse, indem das Geschlecht hier keine Rolle spielt. In ihrem Seminar “Kinderhexen in der frühen Neuzeit” will Jarzebowski gemeinsam mit ihren Studenten diesen Aspekt der Hexenforschung herausheben. Sie plant, die Ergebnisse dieses Seminars in einem Aufsatz zusammenzufassen. Bild: Der Teufel entreißt den Eltern ihr Kind, Holzschnitt von Albrecht Dürer aus dem Jahr 1493