Heute machen uns die Covid-19-Pandemie und der Klimawandel zu schaffen. Eine ähnliche Kombination suchte offenbar auch schon die Menschen und die Wirtschaft des byzantinischen Reichs heim, berichten Archäologen: In den Schichten von Müllhalden spätantiker Siedlungen im heutigen Israel spiegelt sich der Niedergang der Gesellschaft und Wirtschaft zur Zeit einer durch Vulkanismus verursachten Kälteperiode und der Justinianischen Pest wider.
Es sind die beiden großen Themen unserer Zeit: Die Corona-Krise hat die Menschheit schwer erschüttert und aufgezeigt, wie empfindlich unsere globalen Wirtschaftssysteme auf Beeinträchtigungen reagieren. Daneben haben wir es weiterhin mit dem Klimawandel zu tun, dessen Auswirkungen unter anderem die weltweiten Erträge in der Landwirtschaft bedrohen. Um die Gefahren dieser heutigen Probleme einzuschätzen, lohnt sich ein Blick in die Geschichte, sagen Historiker. Es wurden in diesem Zusammenhang bereits verschiedene Präzedenzfälle für die Auswirkungen von klimatischen Veränderungen und auch von historischen Pandemien aufgezeigt.
Ein interessantes Beispiel für die Auswirkungen beider Faktoren auf eine Zivilisation könnte die Entwicklung des byzantinischen Reichs am Ende der Antike darstellen, sagen nun israelische Forscher. Byzanz hatte sich aus dem Ostteil des römischen Reiches entwickelt und beherrschte noch lange die südöstlichen Teile des einstigen Imperiums. Doch ab dem 6. Jahrhundert setzte dann ein starker Zerfallsprozess ein. Als mögliche Faktoren für die Probleme des byzantinischen Reiches dieser Ära gelten die schlechter werdenden klimatischen Bedingungen nach einem Vulkanausbruch um 536 n.Chr. Zudem suchte in der Mitte des 6. Jahrhunderts die sogenannte Justinianische Pest die spätantike Welt heim. Handfeste Belege zu den Folgen und Entwicklungsprozessen im byzantinischen Reich gibt es bisher allerdings kaum, sagen die Forscher.
Spurensuche in spätantikem Müll
Die aktuellen Ergebnisse stammen aus der Untersuchung der Überreste von drei Siedlungen in der Negev-Wüste. Vor allem die Relikte der Stadt Elusa verdeutlichen, dass diese Region einst wohlhabend und produktiv war: Es gab ein Theater, Kirchen und öffentliche Bäder. Die Grundlage des Wohlstands bildete dabei vor allem die Weinproduktion, die durch hochentwickelte Bewässerungssysteme möglich war. In byzantinischen Texten wird der Wein der Region gepriesen, der aus dem Hafen von Gaza in den gesamten Mittelmeerraum und darüber hinaus exportiert wurde. Dieser Gaza-Wein wurde in für die Region typische Amphoren gefüllt, die im gesamten Mittelmeerraum gefunden wurden.
Wie sich dieses Exportgut und damit wohl auch die gesamte Wirtschaft in der Spätantike entwickelt hat, untersuchten die Forscher anhand von Funden in den zeitlich gut datierbaren Schichten der Müllberge von drei Siedlungen in der Negev-Wüste. Sie zählten dabei vor allem aus, wie häufig Traubenkerne und Getreidekörner sowie die Scherben der Weinamphoren in den Abfall-Strukturen zu finden waren. “Bei einem Boom in der Weinproduktion, ist ein Anstieg des Anteils der Traubenkerne im Verhältnis zu den Getreidekörnern zu erwarten“, sagt der Erstautor der Studie Daniel Fuks von der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan. „Und genau das haben wir auch festgestellt: Wir fanden Spuren eines deutlichen Produktionsanstiegs zwischen dem 4. Jahrhundert n. Chr. und der Mitte des 6. Jahrhunderts. Am Ende zeichnet sich dann allerdings ein rapider Rückgang ab”, so Fuks. Bei den Resten der Weinkrüge sind diese Trends ebenfalls festzustellen, berichten die Wissenschaftler. Letztendlich wurden die Siedlungen dann in der Mitte des 6. Jahrhunderts weitgehend verlassen, wie aus weiteren Ergebnissen hervorgeht.
Zeugnis spätantiker Krisen
Wie die Forscher erklären, repräsentiert das Ergebnis damit nun ein archäologisches Zeugnis der Wirtschaftsentwicklung vor etwa 1500 Jahren, das Rückschlüsse auf den gesamten Mittelmeerraum zulässt. Denn der kommerzielle Weinbau in der Negev war wahrscheinlich eng mit den weiträumigen Entwicklungen verknüpft. In den Problemen der damaligen Zeit sehen die Wissenschaftler zudem Parallelen zu heute: Die wirtschaftliche Spezialisierung brachte Wohlstand, machte die Gesellschaft aber auch abhängig und anfällig gegenüber „Schocks“ wie Krankheiten und Klimakapriolen.
Man kann sich gut vorstellen, dass die Justinianische Pest die Nachfrage und den Fernhandel der damaligen Zeit stark beeinträchtigt hat. Abgesehen davon könnte die Seuche auch in der Negev-Region selbst zu einem Mangel an Arbeitskräften geführt haben und damit zu Ausfällen in der Weinproduktion, sagen die Forscher. Den zweiten Schock verursachte in dieser Periode wohl ein Vulkanausbruch mit seinen globalen Folgen. Er blies Schwebteilchen in die Atmosphäre der nördlichen Hemisphäre, was jahrzehntelang zu einer Abkühlung führte. Man geht davon aus, dass dies mit Dürren in Europa verbunden war – in der Levante hingegen mit plötzlichem Starkregen. Die daraus resultierenden Sturzfluten könnten die Bewässerungssysteme und die Landwirtschaft in der Negev-Region stark beeinträchtigt haben, sagen die Wissenschaftler.
Bei den wahrscheinlichen Auslösern für den Zusammenbruch in der Mitte des 6. Jahrhunderts, Klimawandel und Pandemie, handelt es sich offenbar um grundlegende Schwachstellen politischer und wirtschaftlicher Systeme – damals wie heute, so die Wissenschaftler. “Der Unterschied ist, dass die Byzantiner es nicht kommen sahen”, sagt Fuks. “Wir können hingegen mit der Ausbreitung von Erregern planvoll umgehen und dem Klimawandel aktiv entgegentreten. Die Frage ist, ob wir klug genug sind, dies zu tun”, so der Wissenschaftler.
Quelle: Bar-Ilan-Universität, Fachartikel: PNAS, doi: 10.1073/pnas.1922200117