Ob Kreuz, Kreis oder Hashtag – Symbole sind für uns moderne Menschen alltäglich. Doch wann unsere Vorfahren mit dem Zeichnen abstrakter Muster und Symbole begannen, ist bislang unklar. Jetzt haben Archäologen in einer Höhle in Südafrika die bisher älteste abstrakte Zeichnung des Homo sapiens entdeckt. Sie ist 73.000 Jahre alt und damit rund 30.000 Jahre älter als bisher bekannte Malereien unserer Vorfahren. Bei der Zeichnung handelt es sich um eine Art Hashtag und weitere Linien, die mit einem Ockerstift auf einem knapp vier Zentimeter langen Steinabschlag gezeichnet worden sind.
Kunst, Schmuck und die Nutzung von Symbolen gelten als entscheidende Schritte in der geistigen Entwicklung des Menschen. Lange Zeit traute man diese kognitive Leistung nur dem Homo sapiens zu – der Menschenart, zu der auch wir gehören. Gestützt wurde dies dadurch, dass die frühesten Beispiele von Felsmalereien und Ritzzeichnungen in Europa erst durch unsere aus Afrika eingewanderten Vorfahren geschaffen wurden – so dachte man jedenfalls. Doch in den letzten Jahren haben archäologische Funde diese Vorstellung widerlegt. So ergab eine Neudatierung von roten Handabdrücken und Linien in drei spanischen Höhlen ein Alter von mindestens 64.000 Jahren – diese Höhlenkunst muss damit aus der Zeit der Neandertaler stammen. Sie könnten auch die abstrakten Ritzmuster in der Gorham-Höhle auf Gibraltar geschaffen haben. Und auf Java haben Archäologen eine rund 500.000 Jahre alte Muschelschale mit eingeritztem Zickzack-Muster entdeckt, das sogar vom Homo erectus stammen könnte.
Ocker-“Hashtag” auf Steinfragment
Wann jedoch der Homo sapiens erstmals zum Künstler wurde und abstrakte Symbole zeichnete, war bisher unklar. Begann er damit bereits in seiner Urheimat Afrika? Oder entwickelte er diese Fähigkeit erst nach seiner Auswanderung nach Europa? Eine Antwort auf diese Frage liefert nun ein Fund in der rund 300 Kilometer östlich von Kapstadt gelegenen Blombos-Höhle. In ihr haben Ausgrabungen bereits zahlreiche Spuren einer frühen Besiedlung durch den Menschen zutage gefördert, darunter Steinwerkzeuge, Speerspitzen, Knochennadeln und mit Ocker gefärbte Muschelperlen aus der Zeit vor rund 73.000 bis 77.000 Jahren. Auch ein rund 100.000 Jahre altes Werkzeug-Set zur Pigmentzubereitung wurde hier gefunden.
Der neue Fund von Christopher Henshilwood von der Universität Bergen und seinem Team besteht aus einem knapp vier Zentimeter langen Fragment aus Silikatgestein. Auf ihm entdeckten die Forscher neun mit Ocker gemalte Linien, die sich teils kreuzen und teils parallel verlaufen. Vier der Linien scheinen eine Art Raute zu bilden – ähnlich einem steinzeitlichen Hashtag. Die große Frage war nun, ob diese Linien natürlichen Ursprungs waren oder von Menschenhand stammten. Um das zu klären, haben Henshilwood und sein Team den Stein im Labor unter dem Mikroskop und mittels Raman-Spektroskopie genau untersucht.
Älteste abstrakte Zeichnung des Homo sapiens
Die Analysen ergaben: Stein und Linienmuster sind rund 73.000 Jahre alt und von Menschenhand geschaffen. Der längliche Silikatbrocken wurde durch gezielte Abschläge in Form gebracht und mit Ockerpigment bemalt. “Die Breite der Linien spricht dafür, dass sie mit einem Ockerstift mit 1,3 bis 3,3 Millimeter breiter Spitze gezeichnet wurden”, berichten die Wissenschaftler. “Das abrupte Enden aller Linien an den Kanten des Steinfragments zeigt zudem, dass sich dieses Muster ursprünglich über eine größere Oberfläche erstreckte – das Muster war wahrscheinlich noch komplexer und strukturierter als auf diesem Bruchstück erkennbar.” Nach Ansicht von Henshilwood und seinen Kollegen muss ein Mensch dieses gekreuzte Linienmuster absichtlich und gezielt auf den Stein gemalt haben.
“Die Entdeckung dieser Zeichnung demonstriert, dass das Zeichnen bereits vor rund 73.000 Jahren Teil des Verhaltensrepertoires der frühen Homo-sapiens-Populationen in Südafrika gewesen ist”, konstatieren die Forscher. Der “Steinzeit-Hashtag” sei die älteste bisher bekannte abstrakte Malerei der Menschheit. “Das Kreuzmuster auf diesem Stein ist mindestens 30.000 Jahre früher entstanden als die bisher bekannten abstrakten und figurativen Malereien des Homo sapiens.” Interessant auch: In der gleichen Fundschicht wurden sehr ähnliche Muster entdeckt, die in Ockerstückchen eingeritzt worden waren. “Der frühe Homo sapiens nutzte offenbar schon verschiedene Techniken um ähnliche Muster auf unterschiedlichen Medien zu produzieren”, so Henshilwood.
Quelle: Christopher Henshilwood (University of Bergen) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-018-0514-3