Als unsere Vorfahren begannen, Steinwerkzeuge zu nutzen, brachte dies ihre kulturelle und geistige Entwicklung einen entscheidenden Schritt voran. Als besonders wichtig gilt dabei die Erfindung der Oldowan-Werkzeugtechnik. Jetzt haben Forscher im Westen Kenias die bisher ältesten Zeugnisse dieser Oldowan-Kultur entdeckt: Rund 2,9 Millionen Jahre alte Steinwerkzeuge mit Gebrauchsspuren, die ihren Einsatz zum Zerlegen von Großwild und die Zubereitung von Pflanzen verraten. Zwei an derselben Fundstelle entdeckte Zähne eines Paranthropus-Vormenschen werfen zudem die Frage auf, ob diese Werkzeugtechnik möglicherweise doch nicht erst von Frühmenschen der Gattung Homo, sondern schon von ihren Vorgängern entwickelt worden ist.
Schon vor 3,3 Millionen Jahren schlugen Vormenschen Steine zu einfachen Steinwerkzeugen zurecht, wie Funde am Turkanasee in Kenia belegen. Diese ersten Werkzeuge waren jedoch noch unhandlich und grob. Sie entstanden, indem ein Steinbrocken so lange auf eine Felsunterlage geschlagen wurde, bis er einige scharfe Kanten aufwies. Demgegenüber stellte die Oldowan-Technik einen echten Entwicklungssprung dar. Sie umfasste drei verschiedene Werkzeugtypen, die durch Aneinanderschlagen von zwei in der Hand gehaltenen Steinen gefertigt wurden. Ein Hammerstein diente dabei als Schlagwerkzeug, mit dem von dem zweiten Stein gezielt und systematisch feine Abschläge abgetrennt wurden. Die Abschläge dienten dann als Klingen und Messer, während der ovale, ebenfalls scharfkantige Reststein als Schaber oder Axt verwendet werden konnte.
2,9 Millionen Jahre alte Steinwerkzeuge
“Die Oldowan-Technologie eröffnete unseren Vorfahren plötzlich neue Möglichkeiten, sich Nahrung zu verschaffen”, erklärt Seniorautor Richard Potts vom National Museum of Natural History in Washington DC. Doch wann unsere Vorfahren diesen Meilenstein der Werkzeugentwicklung erstmals erreichten und welche Vor- oder Frühmenschenart die Oldowan-Werkzeuge erfand, ist unklar. Die bisher ältesten Oldowan-Steinwerkzeuge wurden im Jahr 2019 in der Nähe von Ledi-Geraru in der Afar-Region Äthiopiens entdeckt. Sie sind rund 2,6 Millionen Jahre alt und stammen aus der Nähe einer Fundstätte von frühen Vertretern der Gattung Homo. Ob diese Frühmenschen jedoch die Erschaffer dieser Werkzeuge waren und wie sie sie einsetzten, ließ sich aus den Funden in Äthiopien nicht eindeutig entnehmen. Klar ist nur, dass sich die Oldowan-Technologie relativ schnell über Afrika und später sogar bis nach Asien ausbreitete. Erst vor rund 1,7 Millionen Jahren wurde sie allmählich durch die noch ausgereifteren Faustkeile der Acheuleen-Technologie abgelöst.
Neue Einblicke in die Oldowan-Technologie und ihre Ursprünge liefern nun Funde, die das Team um Potts und Erstautor Thomas Plummer vom Queens College in New York am Südufer des Viktoriasees in Kenia gemacht haben. Bei den seit 2015 laufenden Ausgrabungen in Nyayanga auf der Homa-Halbinsel haben die Wissenschaftler mehr als 330 Steinwerkzeuge aus Quarz, Quarzit, Granit und anderen Gesteinen entdeckt, darunter alle drei für die Oldowan-Kultur typischen Werkzeugformen. “Die technologischen Merkmale dieser Werkzeuge, wie die Größen der Abschläge und Kerne und die Anzahl der Abschlagsspuren auf den Steinkernen ähneln denen anderer Oldowan-Funde”, berichten Plummer und seine Kollegen. Datierungen mithilfe verschiedener unterschiedlicher Methoden ergaben, dass diese Steinwerkzeuge zwischen 2,58 und 3 Millionen Jahre alt sind, wahrscheinlich ist ein Alter von rund 2,9 Millionen Jahren. “Damit ist dies eines der ältesten, wenn nicht sogar das älteste Zeugnis der Oldowan-Technologie”, sagt Plummer.
Gebrauchsspuren und zwei Vormenschen-Zähne
Nähere Analysen ergaben, dass viele der in Nyayanga gefundenen Werkzeuge Gebrauchsspuren aufweisen. Gruben und Schrammen auf den Hammersteinen sowie winzige Pflanzenreste in den Unebenheiten deuten auf eine Nutzung zum Zerkleinern verschiedener Nahrungspflanzen hin, darunter Wurzeln, Früchte und Blätter, aber auch härtere Pflanzenteile. Andere Steinwerkzeuge wurden in direkter Nachbarschaft zu Tierknochen entdeckt, wie die Wissenschaftler berichten. Insgesamt haben sie 1776 Knochen von meist größeren Tieren in Nyayanga gefunden, darunter Flusspferde, Urpferde, Säbelzahnkatzen und Rohrratten (Thryonomyidae), eine Gruppe von stachelschweinähnlichen Nagetieren. An einigen dieser Knochen waren Schnitt- und Schlagspuren erhalten, die darauf hindeuten, dass die an dieser Fundstelle einst präsenten Vor- oder Frühmenschen diese Tiere geschlachtet haben müssen. Vermutlich schnitten und schabten sie mit ihren Werkzeugen das Fleisch von den Knochen und zerschlugen die Beinknochen, um an das nahrhafte Knochenmark zu gelangen. “Das zeigt, dass der Oldowan-Werkzeugkasten genutzt wurde, um eine breite Vielfalt an pflanzlicher und tierischer Nahrung zu verarbeiten”, sagt Plummer.
Die Ausgrabungen lieferten auch einen ersten Hinweis darauf, wer diese Steinwerkzeuge vor rund 2,9 Millionen Jahren hergestellt haben könnte. Denn inmitten der Werkzeuge entdeckten die Wissenschaftler auch zwei Backenzähne eines Vormenschen der Gattung Paranthropus. Dieser gilt als Verwandter oder Abkömmling der Australopithecinen, war aber deutlich robuster und kräftiger als sie. “Bisher gingen Forscher davon aus, dass die Oldowan-Technologie von der Gattung Homo erfunden wurde”, sagt Potts. “Aber die Entdeckung des Paranthropus neben diesen Steinwerkzeugen eröffnet nun eine ganz neue Wendung in dieser faszinierenden Detektivgeschichte.” Es wäre demnach möglich, dass die fortgeschrittene und bahnbrechende Oldowan-Technologie schon von diesem Vormenschen entwickelt wurde. Allerdings: “Auch die Gattung Homo war zur jener Zeit schon in Ostafrika präsent, auch wenn wir sie bisher nicht in Nyayanga gefunden haben. Daher können wir nicht mit Sicherheit sagen, zu welcher Homininenart diese Werkzeuge gehörten”, betonen die Wissenschaftler. In jedem Fall belegen die neuen Funde, dass die Oldowan-Steinwerkzeuge früher entstanden als bisher angenommen und dass sie schon damals weiter in Ostafrika verbreitet waren als nur im äthiopischen Afar-Dreieck.
Quelle: Thomas Plummer (Queens College, New York) et al., Science, doi: 10.1126/science.abo7452