Zu welchem Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte betätigten sich unsere Urahnen erstmals künstlerisch? Eine neue Analyse von roten Pigmenten in der spanischen Höhle Cueva de Ardales zeigt, dass diese offenbar gezielt aufgetragen wurden – und zwar vor rund 65.000 Jahren. Diese Markierungen entstanden demnach mehr als 20.000 Jahre bevor die ersten anatomisch modernen Menschen nach Europa kamen. Die Analyse lässt darauf schließen, dass die Neandertaler die rote Farbe genutzt haben, um eine rituell bedeutsame Stätte zu markieren.
Die Cueva de Ardales in der spanischen Provinz Malaga beherbergt zahlreiche Felsmalereien aus verschiedenen Jahrtausenden. Entdeckt wurde die rund 1600 Meter lange Höhle im Jahr 1821, nachdem ein Erdbeben ihren Eingang freigelegt hatte. Die ersten Felsmalereien wurden 1918 identifiziert. Bekannt sind zahlreiche figürliche Abbildungen von Tieren sowie verschiedene Symbole. In der Nähe des Eingangs der Höhle, in einer großen stalagmitischen Kuppel, finden sich außerdem rote Pigmente an den Felsen, bei denen bislang umstritten war, ob sie sich durch natürliche Prozesse abgelagert haben, oder ob sie ebenfalls von Menschen stammen.
Malereien aus der Zeit der Neandertaler
Ein Team um Africa Pitarch Martí von der Universität Barcelona in Spanien hat nun die Zusammensetzung dieser Pigmente mit verschiedenen mikroskopischen und spektroskopischen Verfahren analysiert und mit anderen Mineralien in der Höhle verglichen. „Unsere Ergebnisse stehen im Widerspruch zu der Annahme, dass die Färbungen das Ergebnis natürlicher Prozesse sein könnten“, berichten die Forscher. Die Anordnung und Zusammensetzung der Pigmente macht deutlich, dass sie nicht etwa durch Ablagerungen aus Sickerwasser oder durch eine natürliche Verwitterung der Wände entstanden sein können. Auch mikrobielle Aktivitäten konnten die Forscher ausschließen.
Einige der Proben wurden auf ein Alter von rund 65.500 Jahren datiert. Zu dieser Zeit lebten noch keine anatomisch modernen Menschen in Europa. Die Färbungen an den Felsen stammen demnach offenbar von Neandertalern, die im Paläolithikum die Region besiedelten. Den Analysen zufolge sind die Hauptbestandteile der roten Farbe das eisenhaltige Mineral Hämatit, Aluminiumsilikate sowie Calcit. In einigen der entnommenen Mikroproben fanden sie außerdem Quarz und diamantähnliche Kohlenstoffschichten. Ein Vergleich mit anderen Proben aus der Höhle offenbarte: Die Farbe stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht aus der Höhle selbst. „Unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass die paläolithischen Künstler eisenreiche Klumpen verwendeten, die in geologischen Formationen aus einer noch unbekannten Quelle gesammelt wurden, die wahrscheinlich außerhalb der Höhle zu finden ist“ so die Forscher.
Keine Kunst im engeren Sinne
Doch wurden die Pigmente tatsächlich bewusst aufgetragen? In anderen Fällen wurde bereits argumentiert, Verfärbungen an Felswänden könnten zufällig entstanden sein, wenn Frühmenschen mit gefärbter Kleidung oder Körperbemalungen an engen Stellen entlang streiften. Dies können Martí und ihre Kollegen allerdings ausschließen: „Die bemalten Strukturen befinden sich in der Mitte einer sehr großen Kammer“, erklären sie. Zudem fänden sich die Pigmente auch an tiefen Klüften im Felsen – sogar tiefer, als ein Arm reichen könnte. Nach Ansicht der Forscher wurde die Farbe wahrscheinlich durch Pusten oder Spritzen aufgebracht. Dazu passt auch das Verteilungsmuster, bei dem die Färbung in der Mitte am stärksten ist und zu den Rändern hin abnimmt.
Dennoch ordnen die Forscher die Farbauftragungen nicht als Kunst im engeren Sinne ein. Das würde erfordern, dass die Malereien aus sich heraus einen symbolischen Wert haben. „Wir glauben, dass die Höhle selbst das Symbol ist und die Malereien dazu da sind, sie als solches zu kennzeichnen, nicht umgekehrt“, schreiben Martí und ihre Kollegen. „Sie sind also eher das Ergebnis eines grafischen Verhaltens, das darauf abzielt, die symbolische Bedeutung eines Raumes zu verewigen.“
Symbolischer Ort über Generationen hinweg
Die Datierung der Pigmente deutet darauf hin, dass sie zu verschiedenen Zeiten aufgetragen wurden – zunächst vor rund 65.500 Jahren und später noch einmal zwischen 48.700 und 45.300 Jahren. Auch die Zusammensetzung der Pigmente aus den verschiedenen Zeiten ist etwas unterschiedlich. „Durch die Kombination beider Beweislinien, Datierung und Zusammensetzung, können wir sicher sein, dass unsere Proben mindestens zwei Malereignisse repräsentieren, und wir können zusätzlich vermuten, dass ihre tatsächliche Anzahl wahrscheinlich mindestens bei drei oder vielleicht sogar vier liegt“, so die Forscher.
Sie schließen daraus, dass viele Generationen von Neandertalern die Höhle besuchten und über Jahrtausende hinweg immer wieder neu markierten. Offenbar hatten sie eine Motivation, wiederholt in die Höhle zurückzukehren und den Ort symbolisch zu kennzeichnen. „Unsere Ergebnisse untermauern die Hypothese, dass die Neandertaler diese Malereien und die große stalagmitische Kuppel, die sie beherbergt, über einen langen Zeitraum hinweg symbolisch nutzten.“
Quelle: Africa Pitarch Martí (Universität Barcelona, Spanien) et al., Proceeding of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.2021495118