In der Luftbewegung bei der Fahrt und der Energie, die beim Abbremsen von Zügen freigesetzt wird, steckt klimafreundliches Potenzial, sagen Forscher. Sie präsentieren ein Konzept zum Einfangen von Kohlendioxid aus der Atmosphäre mittels spezieller Waggons während des regulären Zugbetriebs. Das Treibhausgas wird dabei in ein Flüssigmedium übertragen und kann anschließend genutzt oder entsorgt werden. Im Gegensatz zu bisherigen Konzepten der aktiven CO2-Bindung könnte das Waggon-System wesentlich kostengünstiger, energieeffizienter und platzsparender arbeiten, sagen die Wissenschaftler.
Geringere Kohlendioxid-Freisetzungen sind das große Ziel beim Kampf gegen den Klimawandel. Doch daneben gibt es auch bereits Ansätze, das Treibhausgas aktiv aus der Atmosphäre zu holen: Direct Air Capture (DAC) heißt das Fachwort. Dabei wird durch technische und chemische Prozesse CO2 aus der Luft eingefangen, komprimiert und anschließend gespeichert oder als Rohstoff genutzt. Doch die bisherigen Konzepte haben Haken: DAC-Anlagen sind teuer und benötigen recht viel elektrische Energie. Denn unter anderem müssen große Ventilatoren betrieben werden, um die Luft für eine effektive CO2-Bindung in die entsprechenden Einheiten zu blasen.
Außerdem benötigen die Anlagen relativ viel Platz, der vor allem in dicht besiedelten Regionen bekanntlich knapp ist. “Viele Menschen wollen gerne zur Lösung der Klimakrise beitragen, aber niemand will das in seinem Hinterhof tun”, sagt Geoffrey Ozin von der University of Toronto. Um die Hürden für die wirtschaftliche Anwendbarkeit von DAC-Systemen zu senken, sind deshalb kreative Umsetzungsstrategien gefragt, sagen Ozin und seine Kollegen. So entstand die Idee, das weltweite Bahnnetz für ein innovatives Verfahren zum Einfangen von Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu nutzen. Zur Umsetzung dieses Konzepts wurde bereits das Start-up-Unternehmen „CO2Rail Company“ in den USA gegründet, das gemeinsam mit internationalen Wissenschaftlern an der Entwicklung des Systems arbeitet.
Clevere Nutzung des Schienenverkehrs
Wie das Team erklärt, ist der Clou ihres Konzepts, dass Effekte genutzt werden, die ohnehin beim Bahnverkehr auftreten. Es müssen nur spezielle DAC-Waggons in die Züge eingereiht werden, deren Bau und Funktion die Forscher in ihrer Veröffentlichung beschreiben. Die Konstruktionen sind mit großen Öffnungen ausgestattet, die den Fahrtwind des Zuges einfangen. Die Luft wird dadurch in große zylindrische CO2-Sammelkammern befördert. Durch diesen Aspekt des Systems sind also keine energieintensiven Ansaugsysteme nötig, wie sie bei stationären DAC-Anlagen erforderlich sind, erklären die Wissenschaftler.
Die Luft durchläuft in der Sammelkammer dann in bestimmten Absorbermaterialien chemische Prozesse, die zu einer Bindung von Kohlendioxid führen. Mit deutlich reduziertem CO2-Gehalt strömt die Luft anschließend hinten aus dem DAC-Waggon wieder in die Atmosphäre. Das aufgefangene CO2 wird in dem System gesammelt, konzentriert und in einem Flüssigkeitsbehälter gelagert, erklären die Forscher. Bei längeren Halten des Zugs kann das gesammelte Kohlendioxid dann entleert werden. Anschließend kann es als Rohstoff dienen oder zu nahe gelegenen Deponien transportiert werden.
Abgesehen von der Einsparung des Ventilationssystems können auch alle anderen Funktionen des Systems ausschließlich ohne eine externe Energiezufuhr betrieben werden, sagen die Forscher. Denn neben Solarpaneelen könnten die DAC-Waggons mit der Energie versorgt werden, die beim häufigen Abbremsen von Zügen freigesetzt wird. Durch bestimmte technische Aufrüstungen lässt sich diese Quelle für die Erzeugung von Strom anzapfen. “Normalerweise wird diese Energie verschwendet”, sagt Eric Bachman, von der CO2Rail Company. “Jedes vollständige Bremsmanöver erzeugt allerdings genug Energie, um 20 durchschnittliche Haushalte einen Tag lang mit Strom zu versorgen, wir sprechen also nicht von einer trivialen Energiemenge.”
Potenzial für den Klimaschutz
Diese Energie könnte zur Eindämmung des Klimawandels verwendet werden, sagen die Wissenschaftler: “Das Einfangen von Kohlendioxid aus der Umwelt wird zunehmend zu einer dringenden Notwendigkeit, um die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels abzumildern“, meint Peter Styring von der Universität Sheffield. „Diese innovative Technologie kann nun Synergien nutzen, die sich durch die Integration in das globale Schienennetz ergeben“, resümiert der Forscher.
Auch unter Berücksichtigung der erhöhten Last, die Lokomotiven durch die eingegliederten DAC-Waggons ziehen müssen, kommt es zu einem großen Vorteil gegenüber stationären DAC-Anlagen, sagen die Forscher. Ihren Berechnungen zufolge könnte jeder DAC-Waggon etwa 6000 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr aus der Luft holen. Da Züge im Personen- oder Güterverkehr mehrere dieser Einheiten befördern können, lässt sich der Beitrag zum Klimaschutz entsprechend erhöhen. Unterm Strich steckt in dem Konzept somit erhebliches Potenzial, ist das Team überzeugt.
“Die voraussichtlichen Kosten im großen Maßstab liegen bei weniger als 50 US-Dollar pro Tonne CO2, was die Technologie nicht nur machbar, sondern auch wirtschaftlich attraktiv erscheinen lässt”, sagt Bachman. Sicherlich würden viele Menschen den Einsatz auch sehr begrüßen: “Stellen Sie sich vor, Sie steigen in einen Zug, sehen die CO2Rail-Waggons und wissen, dass Ihre Reise tatsächlich zur Eindämmung des Klimawandels beiträgt“, so Bachman. Man kann also gespannt sein, wie sich das Konzept weiterentwickeln wird.
Quelle: Cell Press, University of Sheffield, Fachartikel: Joule, doi: 10.1016/j.joule.2022.06.025