Wenn wir ein gesprochenes Wort hören, geschieht in unserem Gehirn ähnliches wie beim Tippen einer SMS oder der Eingabe eines Suchworts bei google: Das Gehirn sucht schon während der ersten Silbe nach passenden Wörtern und hält sie vor. Hören wir beispielsweise “Wo…”, dann aktiviert das Gehirn bereits “Wolke”, “Woche” oder “Wolle”. Ist das Wort dann vollständig erklungen, werden im Gehirn die falschen Alternativen unterdrückt, so dass das richtige Wort quasi gewinnt. “Diese Auswahl ist entscheidend für unser Sprachverständnis, denn ein Wort kann nicht richtig verstanden werden, solange nicht die richtige Entsprechung ausgewählt wurde”, erklären Viorica Marian von der Northwestern University in Evanston und ihre Kollegen.
Wort-Bild-Tests im Hirnscanner
Noch besser muss dieser Filter allerdings bei Zweisprachigen arbeiten. Denn wie frühere Experimente der Forscher zeigten, sind bei ihnen beide Sprachen gleichzeitig aktiv. Wenn beispielsweise russisch-englisch bilinguale Probanden das Wort “Marker” auf Englisch hörten, blickten sie auf einem Bildschirm nicht nur auf die Darstellung des englischen Wortes, sondern auch auf die Abbildung einer Briefmarke – die auf Russisch “marka” heißt. Das Gehirn muss demnach bei Zweisprachigen nicht nur in einer Sprache die falschen Alternativen unterdrücken, sondern in gleich zweien. “Das ist wie eine Ampel: Zweisprachige müssen ständig einer Sprache grün und der anderen rot anzeigen”, so Marian. Wie sich dieser Zwang zur ständigen Selektion auf die Denkleistung und das Gehirn auswirkt, haben sie und ihre Kollegen nun erstmals genauer mit Hilfe der funktionellen Magnet-Resonanz-Tomografie untersucht.
Für ihre Studie absolvierten 17 spanisch-englisch bilinguale und 18 nur englisch sprechende Probanden Sprachaufgaben, während sie im Hirnscanner lagen. Sie hörten jeweils ein gesprochenes Wort, während vier Bilder auf einem Bildschirm erschienen. Eines davon stellte das im Wort Benannte dar, die anderen zeigten entweder völlig andere Objekte oder aber mindestens ein Bild, dessen Bezeichnung ähnlich klang wie das gehörte Wort. Erklang beispielsweise “Wolke”, dann war eine Wolke, aber auch ein Wollknäuel zu sehen. Die Probanden sollten durch Knopfdruck das Bild markieren, das das richtige Objekt zeigte.
Effektivere Verarbeitung
Die Auswertung der Hirnscans ergab deutliche Unterschiede zwischen den Probanden: Bei den Einsprachigen wurden zusätzliche Hirnareale aktiv, wenn Bilder ähnlich klingender Begriffe zu sehen waren. Die Aktivität stieg dann vor allem in den Bereichen der Hirnrinde, die für die Handlungskontrolle zuständig sind, wie die Forscher berichten. Bei den Bilingualen war dies nicht der Fall, bei ihnen blieb die Hirnaktivität relativ gleich. Nach Ansicht der Wissenschaftler deuten diese Unterschiede darauf hin, dass die Entscheidung darüber, welches intern aktivierte Wort das richtige ist, bei zweisprachigen Personen quasi automatisch abläuft. “Denn wenn man das die ganze Zeit tun muss, dann wird man sehr gut darin, die Wörter zu unterdrücken, die man nicht benötigt”, erklärt Marian. Das Gehirn Einsprachiger ist dagegen weniger geübt darin irrelevante Information zu unterdrücken. “Deshalb läuft diese Selektion bei ihnen nicht automatisch ab, sondern es müssen weitere kognitive Ressourcen dafür mobilisiert werden.”
Das aber könnte bedeuten, dass das Gehirn zweisprachiger Menschen auch bei anderen Anwendungen solcher Filter effektiver arbeitet. “Die inhibitorische Kontrolle ist eines der Kernmerkmale der geistigen Leistung”, erklärt Marian. “Ob wir autofahren oder einen chirurgischen Eingriff durchführen: Immer ist es wichtig, sich auf das zu konzentrieren, was wichtig ist und das zu ignorieren, das unwichtig ist.” Nach Ansicht der Forscher trägt das ständige Selektieren und Unterdrücken der konkurrierenden Sprachen dazu bei, diese inhibitorische Fähigkeit des Gehirns zu stärken. Und das könnte auch erklären, warum zweisprachige Menschen erst später Symptome einer Alzheimer-Demenz zeigen: Ihr Gehirn hat genügend Ressourcen, um die Defizite eine Zeitlang auszugleichen. “Eine andere Sprache zu lernen und zu nutzen liefert quasi nebenbei ein Gehirnjogging”, so Marian. “Und für diese Art des Trainings ist es nie zu spät.”