Für soziale Tiere ist es überlebenswichtig, mit ihren Artgenossen zu interagieren. Dabei müssen sie nicht nur beachten, wer gerade welche Signale von sich gibt, sondern auch, mit wem sie es überhaupt zu tun haben, welche Erfahrungen sie mit ihrem Gegenüber in der Vergangenheit gemacht haben und wie die aktuelle Stimmungslage ist – eine große kognitive Herausforderung. Forscher haben nun an Affen und Fledermäusen untersucht, wie das Gehirn solche komplexen Interaktionen in sozialen Gruppen verarbeitet. Demnach werden je nachdem, welches Individuum gerade agiert und wie die gemeinsame Geschichte der beteiligten Gruppenmitglieder ist, unterschiedliche Neuronen aktiv.
Ähnlich wie für Menschen spielen für Rhesusaffen soziale Interaktionen eine große Rolle. Sie pflegen freundschaftliche Beziehungen über Familienbande hinaus und können sich merken, wer ihnen in der Vergangenheit Gutes oder Schlechtes getan hat und ihr Verhalten entsprechend anpassen. Auch Fledermäuse sind hochgradig soziale Tiere. In den Höhlen, in denen sie tagsüber schlafen, tummeln sich oft dicht an dicht hunderte Individuen, die miteinander interagieren, etwa wenn es um Nahrung, Schlafplätze oder Paarungspartner geht.
Gruppenkommunikation im Fokus
Zwei Forschungsteams haben nun unabhängig voneinander Vertreter dieser beiden Tiergruppen – Rhesusaffen und Nilflughunde (Rousettus aegyptiacus) – daraufhin untersucht, wie ihr Gehirn die komplexe Gruppenkommunikation verarbeitet. Ein Team um Raymundo Báez-Mendoza von der Harvard Medical School in Boston ließ Gruppen von jeweils drei Rhesusaffen untereinander Früchte teilen und beobachtete dabei nicht nur ihr Verhalten, sondern maß zugleich ihre Hirnaktivität im präfrontalen Kortex. Maimon Rose und seine Kollegen von der University of California in Berkeley analysierten die Hirnaktivität im frontalen Kortex von Nilflughunden, während diese in kleinen Gruppen frei miteinander interagierten.
„Die meisten Studien zur Kommunikation, insbesondere zur Lautäußerung, werden in der Regel mit Einzeltieren oder Tierpaaren durchgeführt, aber bisher wurde kaum eine Studie in einer echten Gruppe durchgeführt“, sagt Rose. „Viele soziale Säugetiere, darunter auch der Mensch, interagieren jedoch in der Regel in Gruppen.“ Bisher war allerdings unklar, wie die Gehirne der Tiere in der Lage sind, einzelne Artgenossen während der Gruppenkommunikation voneinander zu unterscheiden und einzuordnen und inwieweit sich die Hirnaktivität der verschiedenen Beteiligten Individuen synchronisiert.
Spezifische Neuronen identifizieren den Sprecher
Diese Fragen haben die beiden aktuellen Studien nun geklärt. „Indem wir die interindividuelle Dynamik von Gruppen aus drei Rhesusaffen verfolgt haben, haben wir entdeckt, dass bestimmte Neuronen im präfrontalen Kortex das Gruppenverhalten detailliert repräsentieren“, berichtet Báez-Mendozas Team. So wurden je nachdem, welcher der Artgenossen agierte, unterschiedliche Neuronen aktiviert. „Diese spiegelten nicht nur die Identität des Gegenübers wider, sondern auch spezifische Interaktionen, den sozialen Kontext, die Handlungen und Ergebnisse“, berichten die Forscher.
Die neuronale Repräsentation war so detailliert, dass die Forscher anhand dessen sogar voraussagen konnten, ob sich ein Affe einem anderen gegenüber als nächstes kooperativ verhalten würde oder nicht. Unterbrachen die Forscher dagegen die neuronale Aktivität im präfrontalen Kortex der Affen kurz mithilfe von Mikrostimulation, waren die Tiere nicht mehr in der Lage, ihre Entscheidungen abhängig von vorangegangenen Erfahrungen mit dem jeweiligen Artgenossen zu treffen. Während sie sonst eher Artgenossen ein Fruchtstück zukommen ließen, die sich einen Ruf als gute „Fruchtgeber“ erarbeitet hatten, spielte dies keine Rolle mehr, wenn die Aktivität der entsprechenden Neuronen unterbrochen wurde.
Schlechtere Synchronisation mit Außenseitern
Auch Rose und sein Team stellten fest, dass verschiedene Individuen jeweils einzigartige Repräsentationen im Gehirn ihrer Artgenossen haben. Je nachdem, welche Fledermaus gerade Laute von sich gab, wurden unterschiedliche Neuronen im präfrontalen Kortex ihrer „Zuhörer“ aktiv. Allein anhand der neuronalen Aktivität in den Gehirnen der anderen Fledermäuse konnten die Forscher erkennen, von welchem Tier der Laut gekommen war. Überdies fanden sie heraus, dass sich die Gehirne der Gruppenmitglieder während der Kommunikation synchronisierten. Hörten die Tiere dagegen entsprechende Laute außerhalb des kommunikativen Kontextes, war dies nicht der Fall.
Weitere Experimente enthüllten, dass das Ausmaß der Synchronisierung offenbar auch davon abhängt, wie sich die jeweils „sprechende“ Fledermaus in der Gruppe verhält, also ob sie üblicherweise eng mit anderen Fledermäusen zusammensitzt oder sich eher absondert. „Wir fanden heraus, dass die Fledermäuse, die ihre Laute innerhalb der Gruppe von sich gaben, bei den anderen Fledermäusen eine viel genauere neuronale Repräsentation ihrer Identität hervorriefen und auch ein viel höheres Maß an Gehirnsynchronität innerhalb der Gruppe auslösten“, sagt Rose. „Es ist zwar nicht ganz klar, was genau vor sich geht, aber es scheint, dass das Verhalten der Fledermäuse tatsächlich ihre neuronale Repräsentation in den Gehirnen der anderen Fledermäuse verschiebt.“
Neuronale Mechanismen für soziale Intelligenz
In einem begleitenden Kommentar zu den beiden Studien, der ebenfalls in der Fachzeitschrift “Science” veröffentlicht wurde, schreibt die Neurowissenschaftlerin Julia Sliwa von der Sorbonne Universität in Paris: „Die Ergebnisse sind ein wichtiger Schritt, um die neuronalen Mechanismen zu identifizieren, die es ermöglichen, in komplexen sozialen Strukturen zu interagieren – und dabei die spezifische Identität des Interaktionspartners und die gemeinsame Geschichte einzubeziehen.“
Quellen: Raymundo Báez-Mendoza (Harvard Medical School, Boston) et al., Science, doi: 10.1126/science.abb4149, Maimon Rose (University of California, Berkeley) et al., Science, doi: 10.1126/science.aba9584