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Wie sich die Venusfliegenfalle erinnert

Fleischfressende Pflanzen

Wie sich die Venusfliegenfalle erinnert
Wird ein Sinneshaar in der Falle berührt, zeigt ein Effekt die Ausschüttung von Kalziumionen an. Kommt ein zweiter Reiz hinzu, wird ein Schwellenwert überschritten und die Falle schnappt zu. (Bild: NIBB)

Sie „merkt“ sich die erste Berührung eines Sinneshaares – folgt dann innerhalb von 30 Sekunden eine zweite, schnappt die Venusfliegenfalle zu. Wie kann sich die Pflanze ohne ein Nervensystem an den ersten Reiz „erinnern“? Diese Frage haben Forscher nun durch genetisch veränderte Versionen der Karnivore buchstäblich erhellt: Ein fluoreszierender Marker verdeutlicht, dass bei Berührungen Kalziumionen ausgeschüttet werden und über eine Art Uhrenfunktion das Gedächtnis bilden.

Währen andere Pflanzen friedlich ihre Blätter ins Licht recken, macht sie Jagd auf Insekten: Die Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula) ist wohl eine der skurrilsten Pflanzen der Welt. Um sich in ihrem kargen Lebensraum in Nordamerika mit Zusatznährstoffen zu versorgen, besitzt sie zu fangeisenartigen Fallen umgewandelte Blattspitzen. Krabbeln Beutetiere in diese bizarren Strukturen, klappen sie blitzartig zu und zersetzen die Beute anschließend durch Verdauungssäfte. Welche Mechanismen dieses faszinierende System ermöglichen, untersuchen Forscher bereits seit 200 Jahren – doch noch immer gibt es Geheimnisse aufzudecken.

Merkfähigkeit ohne Nervensystem

Mit dem bloßen Auge ist erkennbar, dass für das Auslösen kleine Sinneshaare in den Fallen verantwortlich sind. Jeweils drei von ihnen sitzen auf der rötlichen Innenseite jeder der beiden Klappen. Um den Mechanismus in Gang zu setzen, muss ein Beutetier diese Auslöser zweimal innerhalb von 30 Sekunden berühren. Dies vermeidet, dass die Organe durch häufige „Fehlalarme“ ermüden. Somit scheint klar: Lässt der zweite Reiz länger auf sich warten, wird das erste Aktionspotential aus dem Kurzzeitgedächtnis der Falle gelöscht. Doch wie ist diese komplexe Merkfähigkeit möglich? Einem internationalen Forscherteam ist nun der Nachweis gelungen, dass das pflanzliche Gedächtnis auf der Ausschüttung von Kalziumionen beruht, die eine Art Uhrenfunktion vermitteln.

Die neuen Einblicke wurden durch die Entwicklung eines Verfahrens zur Herstellung von genetisch veränderten Venusfliegenfallen möglich. Es gelang den Forschern, Zuchtlinien der Pflanzen zu entwickeln, die ein Gen tragen, das für die Produktion eines Kalziumsensors in den Fallen sorgt. Es handelt sich dabei um ein Protein, das einen leuchtenden Fluoreszenzeffekt verursacht, wenn die Kalziumkonzentration im Gewebe ansteigt. „Die Herstellung dieser Versuchspflanzen war der entscheidende Schritt hin zur Testung unserer Hypothese der Kalziumuhr“, erklärt Co-Autor Rainer Hedrich von Universität Würzburg, der in den letzten Jahren bereits einige Geheimnisse der faszinierenden Pflanze aufgedeckt hat.

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Eine Kalziumuhr bildet das Gedächtnis

Die Experimente mit den Sensor-bestückten Venusfliegenfallen zeigten: Wird ein Sinneshaar berührt, breitet sich eine leuchtende Welle über die gesamte Falle aus. Dies dokumentiert somit, dass der Reiz zu einer schlagartigen Erhöhung des Kalziumspiegels in den Zellen führt. Wie für eine Welle typisch, ebbt sie ab: Nach einer Minute nähert sich der Kalziumgehalt wieder dem Ausgangsniveau an, zeigen die Experimente. Wenn nun im Zeitfenster von 30 Sekunden nach dem ersten Reiz ein zweiter folgt, werden erneut Kalziumionen ausgeschüttet, die zu den bereits vorhandenen hinzukommen. Dadurch wird eine Schwelle überschritten, was kalziumabhängige Prozesse in Gang setzt, die wiederum die Falle zuklappen lassen, erklären die Wissenschaftler.

„Die elektrische Erregung der Fallenzellen wird also in eine Konzentrationserhöhung von Kalzium übersetzt. Damit wird das vorbeiziehende Aktionspotential quasi in den elektrisch erregten Fallenzellen gespeichert. Erfolgt ein weiteres Aktionspotential, wird sein Kalziumwert dem ersten Signal hinzugefügt. „Unsere Befunde zeigen somit, dass das Kurzzeitgedächtnis und die Fähigkeit, bis zwei zu zählen, tatsächlich auf der Kalziumuhr beruhen“, resümiert Hedrich.

Wie zählen die Fallen weiter?

Aus früheren Untersuchungsergebnissen ist allerdings bekannt, dass die Venusfliegenfalle nicht nur bis zwei, sondern bis fünf zählen kann. Sie tut dies, wenn das Insekt bereits gefangen ist, sich in der Falle aber noch bewegen kann. Erst wenn das Opfer dadurch erneut die Sinneshaare berührt, werden die weiteren „Fressprozesse“ in Gang gesetzt: Ab der fünften elektrischen Erregung werden Verdauungsenzyme abgegeben, um die Beute zu zersetzen, und es werden auch Transportproteine erzeugt, durch die sich die Pflanze die Nährstoffe einverleiben kann.

Die Forscher wollen in weiteren Untersuchungen nun klären, inwieweit auch für dieses weitere Zählen die Kalziumuhr verantwortlich ist. Darunter ist die Frage, ob andere Zellen bei Signal Nummer drei, vier oder fünf in Aktion treten als zuvor bei eins und zwei, die den Klappmechanismus ausgelöst haben. „Weiterhin wollen wir wissen, wie die unterschiedlichen kalziumabhängigen Prozesse nach dem Überschreiten der jeweiligen Kalziumschwelle angesteuert werden“, sagt Hedrich.

Quelle: National Institutes of Natural Sciences, Universität Würzburg, Fachartikel: Nature Plants, doi: 10.1038/s41477-020-00773-1

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