Die Goldalge Prymnesium parvum produziert ein kompliziert aufgebautes Toxin, das bei Algenblüten in verschiedenen Teilen der Welt zu großen Fischsterben führt. Nun haben Forschende entschlüsselt, wie die Alge dieses Gift herstellt. Demnach produziert sie riesige Enzyme, die die komplexen Gift-Moleküle zusammenbauen. Eines dieser Enzyme ist das größte bisher in der Natur entdeckte Protein. Die Entdeckung kann dazu beitragen, schädliche Algenblüten besser zu überwachen. Zudem könnte sie neue Strategien für die Medikamentenentwicklung eröffnen.
Die einzellige Alge Prymnesium parvum ist weltweit verbreitet und kommt vor allem in Salz- und Brackwasser vor. Unter bestimmten Bedingungen kommt es zu ausgedehnten Algenblüten, die häufig dazu führen, dass massenhaft Fische sterben. Grund dafür ist, dass die einzelligen Algen unter Stress Giftstoffe freisetzen, sogenannte Prymnesin-Verbindungen. Diese dienen wahrscheinlich eigentlich dazu, der Alge die Jagd auf andere Mikroorganismen zu erleichtern und Fressfeinde abzuwehren. In größeren Mengen, wie sie bei einer Algenblüte vorkommen können, wirkt das Gift allerdings auch neurotoxisch auf Fische und richtet mitunter große Schäden in Fischkulturen und in freier Wildbahn an. Im Sommer 2022 verursachte diese Alge ein dramatisches Massensterben von Fischen in der Oder.
Die Algen-Toxine von Prymnesium parvum sind äußerst komplex aufgebaut und bestehen auf molekularer Ebene aus zahlreichen aneinandergeketteten Ringverbindungen. „Der biosynthetische Ursprung dieser Verbindungen ist der Wissenschaft seit mehr als 40 Jahren ein Rätsel“, schreibt ein Team um Timothy Fallon von der University of California in San Diego. Um diesem Rätsel auf die Spur zu kommen, sequenzierten die Forschenden zunächst das gesamte Genom von P. parvum und suchten dann nach den an der Produktion des Giftstoffs beteiligten Genen.
Riesige Enzyme
„Wir konnten die Gene ausfindig machen, und es stellte sich heraus, dass diese Alge riesige Gene verwendet, um riesige toxische Moleküle herzustellen“, berichtet Fallons Kollege Vikram Shende. Aus dem genetischen Codes lasen die Forschenden die Aminosäuresequenz der codierten Proteine ab und rekonstruierten diese. Wie sie herausfanden, handelte es sich dabei um sogenannte Polyketid-Synthasen (PKS), also Enzyme, die Polyketide wie das Algengift herstellen. Aufgrund ihrer außergewöhnlichen Größe gaben Fallon und sein Team ihnen die Namen PKZILLA-1 und PKZILLA-2.
Die weitere Analyse der Enzyme enthüllte ihre rekordverdächtige Masse: PKZILLA-1 bringt es auf 4,7 Megadalton – mehr als hundertmal so viel wie ein durchschnittliches Protein. Das größte bisher bekannte natürliche Protein, das Strukturprotein Titin, das unter anderem in menschlichen Muskelzellen vorkommt, wiegt 3,7 Megadalton. PKZILLA-2 wiegt immerhin 3,2 Megadalton. „Das erweitert unsere Vorstellung davon, wozu die Biologie fähig ist“, sagt Fallons Kollege Bradley Moore. PKZILLA-1 enthält 140 Domänen, an denen enzymatische Reaktionen stattfinden, PKZILLA-2 steuert 99 Enzymdomänen bei. Wie das Forschungsteam zeigte, katalysieren die beiden Enzyme damit eine Abfolge von 239 chemischen Reaktionen, die schließlich die komplexen Prymnesin-Verbindungen hervorbringen.
Schädliche Algenblüten früher erkennen
„Die Hoffnung ist, dass wir dieses Wissen darüber, wie die Natur diese komplexen Chemikalien herstellt, nutzen können, um im Labor neue chemische Möglichkeiten für die Medikamente und Materialien von morgen zu erschließen“, sagt Moore. So weisen verschiedene Medikamente, darunter mehrere Antibiotika und Chemotherapeutika, ähnliche Strukturmerkmale auf wie das Algengift. Zudem könnten die neuen Erkenntnisse auch dabei helfen, schädliche Algenblüten früher zu identifizieren. Bisherige Tests zielen darauf, die Giftstoffe im Wasser nachzuweisen – schlagen also erst an, wenn es eigentlich schon zu spät ist.
Die Kenntnis der verantwortlichen Gene ermöglicht dagegen, direkt nach diesen zu fahnden. „Die Überwachung auf die Gene statt auf das Toxin könnte es uns ermöglichen, Blüten zu erkennen, bevor sie entstehen, anstatt sie erst dann zu identifizieren, wenn die Toxine bereits im Umlauf sind“, sagt Fallon. In Zukunft will das Forschungsteam auch die Synthesewege weiterer Algengifte nachvollziehen und auf diese Weise ermöglichen, auch andere toxische Algenblüten, die teils auch für Menschen gefährlich sind, mit genetischem Wissen zu überwachen.
Quelle: Timothy Fallon (University of California, San Diego, La Jolla, USA) et al., Science, doi: 10.1126/science.ado3290