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Wie Kraken ihr Gehirn an Wärme und Kälte anpassen

Erde|Umwelt

Wie Kraken ihr Gehirn an Wärme und Kälte anpassen
Krake
Dieser Kalifornische Zweipunktkrake (Octopus bimaculoides) passt sich mittels RNA-Editing an die Wassertemperatur an. © Tom Kleindinst

In ihren natürlichen Lebensräumen sind Kraken und Kalmare im Laufe des Jahres starken Temperaturschwankungen ausgesetzt. Als wechselwarme Tiere können sie ihre Körpertemperatur jedoch nicht selbst regulieren. Wie schützen sie dennoch ihre leistungsfähigen Gehirne? Zwei Studien zeigen nun, dass Kraken und Kalmare je nach Umgebungstemperatur ihre mRNA auf unterschiedliche Weise verändern. Dadurch entstehen modifizierte Proteine, die die Funktionsweise des Gehirns jeweils bei kalten oder warmen Temperaturen optimal gewährleisten.

Die Baupläne für Proteine sind in der DNA gespeichert. Damit diese Baupläne umgesetzt werden können, wird die DNA beim Ablesen zunächst in sogenannte Messenger-RNA (mRNA) übersetzt – die Blaupause, auf deren Basis dann die Proteine gebildet werden. Um die Vielfalt der zur Verfügung stehenden Proteine zu erhöhen, wird die mRNA bei Menschen und Tieren in vielen Zelltypen nachträglich editiert. Dabei werden einzelne Buchstaben des Codes gelöscht, eingefügt oder geändert. Durch dieses RNA-Editing können aus der gleichen DNA-Vorlage je nach Zelltyp unterschiedliche Proteine erstellt werden. Bei Menschen betrifft die Editierung etwa drei Prozent der Gene.

Umkodierung bei Kraken

Zwei Forschungsteams haben nun unabhängig voneinander nachgewiesen, dass Kopffüßer wie Kraken und Kalmare die RNA-Editierung in weitaus höherem Maß nutzen. „Die RNA-Umkodierung gibt Organismen die Möglichkeit, eine Vielzahl von Proteinen zu exprimieren, wann und wo sie wollen“, sagt Joshua Rosenthal vom Marine Biological Laboratory in Woods Hole in Massachusetts. „Bei Kopffüßern erfolgt die Umkodierung überwiegend für Proteine, die für die Funktion des Nervensystems wichtig sind, so dass sich die Frage stellt, ob sie dies nutzen, um sich an Veränderungen in ihrer physischen Umgebung anzupassen.“

Um diese Frage zu klären, führten Rosenthal und Erstautor Matthew Birk gemeinsam mit ihrem Team zunächst Versuche mit wild gefangenen erwachsenen Zweipunkt-Kraken (Octopus bimaculoides) durch. Dabei handelt es sich um kleine, gelblich-braune Kraken, die unter ihren echten Augen zwei blau schillernde Scheinaugen tragen. Diese Tintenfische leben vor der Küste Kaliforniens und Mexikos, und ihr Genom wurde bereits sequenziert. Über mehrere Wochen hinweg hielten die Forschenden die Kraken entweder in 22 Grad warmem oder 13 Grad kaltem Wasser und untersuchten dann, wie die DNA in RNA und Proteine umgesetzt wird. Dabei legten sie ein Augenmerk auf rund 60.000 zuvor identifizierte Stellen im Genom, an denen Editing auftreten kann.

Anpassung an unterschiedliche Temperaturen

Es zeigte sich: „Temperatursensitives Editing trat an etwa einem Drittel dieser Stellen auf – an über 20.000 einzelnen Abschnitten. Es handelt sich also nicht um ein Phänomen, das hier oder dort auftritt, sondern um ein globales Phänomen“, berichtet Co-Autor Eli Eisenberg von der Universität Tel-Aviv. „Allerdings geschieht dies nicht in gleichem Maße: Proteine, die editiert werden, sind tendenziell neuronale Proteine, und fast alle Stellen, die temperaturempfindlich sind, werden in der Kälte stärker editiert.“ Am Beispiel der beiden Proteine Kinesin und Synaptotagmin, die eine wichtige Rolle im Nervensystem spielen, untersuchten die Forschenden zudem, wie sich die mRNA-Editierung auf Struktur und Funktion der Proteine auswirkt. Dabei stellten sie fest, dass die Umkodierung tatsächlich strukturelle Veränderungen der Proteine bewirkt und dass die bei Kälte oder Wärme erzeugten Proteine jeweils für entsprechenden Temperaturbereich angepasst waren.

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Doch wie schnell ist die Umstellung der Proteinproduktion möglich? „Wir hatten keine Vorstellung davon, ob es Wochen oder Stunden dauert“, sagt Birk. Deshalb setzten die Forschenden in einem weiteren Experiment junge, erst daumennagelgroße Kraken in 14 Grad kaltes Wasser und erwärmten dieses um 0,5 Grad pro Stunde bis auf 24 Grad – und umgekehrt. Unmittelbar vor und nach der Temperaturänderung sowie vier Tage später untersuchten sie das Ausmaß des RNA-Editings. „Wir konnten in weniger als einem Tag signifikante Veränderungen feststellen, und innerhalb von vier Tagen waren sie auf dem Niveau, auf dem sie sich nach einem Monat befanden“, berichtet Birk.

Weit verbreiteter Mechanismus?

Weitere Ergebnisse legen nahe, dass der Mechanismus bei Kopffüßern weit verbreitet ist. Zum einen konnten Birk und sein Team das temperaturabhängige RNA-Editing auch bei wildlebenden Kalifornischen Zweipunkt-Kraken zu verschiedenen Jahreszeiten nachweisen, ebenso wie bei Individuen einer nah verwandten Art. Zum anderen hat ein unabhängiges Forschungsteam um Kavita Rangan vom Howard Hughes Medical Institute in Maryland ähnliche Ergebnisse an Opal-Tintenfischen (Doryteuthis opalescens) gewonnen. „Unsere Arbeit deutet darauf hin, dass Tintenfische ihr Proteom, also die Gesamtheit ihrer Proteine, als Reaktion auf Veränderungen der Meerestemperatur im Handumdrehen anpassen können“, sagt Rangangs Kollegin Samara Reck-Peterson. „Man kann vermuten, dass diese Fähigkeit diesen wechselwarmen Meerestieren das Überleben in einem breiten Spektrum von Meerestemperaturen ermöglicht.“

Da mehrere Umkodierungen in Proteinen stattfanden, die auch beim Menschen vorkommen, könnte die Entdeckung auch medizinisch interessant sein. „Die Umkodierungsstellen der Kopffüßer können uns bei hochkonservierten Proteinen womöglich auf Reste mit funktioneller Bedeutung hinweisen“, sagt Rangan. „Das hat weitreichende Auswirkungen auf unser Verständnis grundlegender Proteinfunktionen sowie auf die Entwicklung von Proteinen mit spezifischen Funktionen. Kopffüßer können uns vielleicht zeigen, wo wir suchen und welche Änderungen wir vornehmen müssen.“

Quellen: Matthew Birk (Marine Biological Laboratory, Woods Hole, Massachusetts) et al., Cell, doi: 10.1016/j.cell.2023.05.004; Kavita Rangan (Howard Hughes Medical Institute, Chevy Chase, Maryland) et al., Cell, doi: 10.1016/j.cell.2023.04.032

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