Deutschland hat sich für alle Wirtschaftssektoren Klimaschutzziele gesetzt. Bis 2045 soll unser Land klimaneutral sein und seine Emissionen auf Netto-Null reduzieren. Im Verkehrssektor scheinen diese Ziele jedoch derzeit nicht erreichbar: Die Emissionen liegen dort weiterhin auf hohem Niveau. Eine aktuelle Studie beschreibt nun zwei Szenarien, wie die bestehenden Lücken im Klimaschutz möglichst schnell und kurzfristig geschlossen werden können – auch ohne Fahrverbote.
Der Verkehr ist das Sorgenkind im deutschen Klimaschutz. Er stößt weiterhin auf hohem Niveau Treibhausgase aus und bewegt sich nur sehr langsam in Richtung Klimaneutralität. Denn in den Gesetzen gibt es noch Schlupflöcher, wodurch der Verkehr effektiv weniger Emissionen einsparen muss als andere Lebensbereiche. Dazu kommt die jüngste Abschwächung des Klimaschutzgesetzes, nachdem die Emissionsminderungen der verschiedenen Wirtschaftssektoren sich auch gegenseitig ausgleichen dürfen. „Das neue Klimaschutzgesetz reduziert den Anreiz für die Bundesregierung, die Emissionen im Verkehrssektor zu mindern und ihn strukturell auf den Klimaschutz auszurichten“, sagt dazu Peter Kasten vom Öko-Institut in Freiburg.
Wie gelingt die Verkehrswende?
Deutschland könnte seine Klimaschutzziele zwar theoretisch durch den CO2-Zertifikatehandel auch ohne den Beitrag des Verkehrssektors erreichen, das wird allerdings teuer: „Ohne ein Handeln der Politik müssen wir uns durch den Zukauf von Emissionsminderungen aus anderen EU-Ländern auf Ausgaben im zweistelligen Milliardenbereich bis zum Jahr 2030 einstellen“, so Kasten. Wie lässt sich das noch vermeiden und stattdessen mehr Klimaschutz im Verkehr einrichten?
Das haben nun Forschende des Öko-Instituts und des Unternehmens INFRAS im Auftrag des Umweltbundesamtes untersucht. Das Ergebnis: Mit konsequenten Maßnahmen seitens der Politik ist ambitionierter Klimaschutz im Verkehrssektor durchaus noch möglich. Die Emissionen durch den Verkehr könnten beispielsweise von heute 145 auf bis zu 80 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr 2030 sinken. Voraussetzung für diese Verkehrswende sind der Studie zufolge schnellere und höhere klimafreundliche Investitionen in den Verkehrssektor – vor allem in Elektrofahrzeuge, den öffentlichen Nahverkehr und die Schiene, aber auch in die Verkehrsinfrastruktur. Gemeint sind hier unter anderem Ladesäulen und Radwege.
Kfz-Steuern und Maut als Regulationsinstrumente
Für einen klimafreundlichen Verkehr müsste laut der Studie auch das Steuersystem geändert werden. Für neue Autos, die viel CO2 ausstoßen, soll demnach eine höhere Kfz-Steuer anfallen als für sparsamere Fahrzeuge. Auch die Steuern für Dienstfahrzeuge und Diesel sollen erhöht werden. Insgesamt müsse der CO2-Preis ausreichend hoch angesetzt werden, um einen wirtschaftlichen Anreiz zu schaffen, klimaschädliche Emissionen zu vermeiden, berichtet das Forschungsteam. Darüber hinaus sollte nach Ansicht der Wissenschaftler möglichst zeitnah eine fahrleistungsabhängige Pkw-Maut eingeführt werden, so dass Vielfahrer mehr zahlen als Wenigfahrer. „Mit ihr können die Folgekosten des Autofahrens für alle Antriebssysteme bepreist und zukünftig zurückgehende Einnahmen der Energiesteuer ausgeglichen werden“, so Kasten.
Das Team betont auch, dass ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen sowie reduzierte Geschwindigkeiten außerorts und innerorts die Verkehrsemissionen senken würden. Weil diese Tempolimits bislang nicht eingeführt wurden, müssen nun andere Maßnahmen die verpassten Einsparungen kompensieren.
Gewinn für den Staat, Belastung für die Bürger?
Die Forschenden betrachteten für ihre Studie zwei Szenarien: eine sofortige und eine verzögerte Variante, bei der dann eine ambitioniertere Umsetzung der Maßnahmen bis zur Klimaneutralität in 2045 nötig werden. Beide Szenarien sind demnach möglich und wirksam. Je früher die Politik jedoch die Verkehrswende angehe, desto besser würden die dadurch anfallenden Kosten zeitlich verteilt, erklärt das Team. Ein späteres Handeln führe hingegen zu abrupten Preisanstiegen im Verkehrssektor und belaste die Wirtschaft stärker. Unterm Strich lohnt sich die Verkehrswende wirtschaftlich jedoch immer: Sie hätte in beiden Szenarien einen positiven Effekt auf Wertschöpfung und Beschäftigung in Deutschland und führt den Berechnungen nach bis zum Jahr 2030 zu einem Plus von 15 bis 35 Milliarden Euro auf dem Staatskonto.
Keine weiteren Klimaschutzmaßnahmen einzuführen, sei für den Staat dagegen langfristig teurer, so Kasten und seine Kollegen. Richtig umgesetzt könnten daher die Wirtschaft und andere Sektoren von der Verkehrswende profitieren. „Der Verkehrssektor kann bei sehr ambitionierter Klimapolitik vom ‚Problemfall‘ für den Klimaschutz langfristig zu einem Sektor werden, der die verfehlten Emissionsminderungen anderer Sektoren potenziell ausgleicht“, heißt es in der Studie.
Allerdings zeigte die Untersuchung auch einige Schattenseiten der Verkehrswende auf: So wären Haushalte mit niedrigeren Einkommen von den notwendigen Klimaschutzmaßnahmen im Verkehr stärker betroffen als reichere Menschen. „Der Effekt ist besonders auf dem Land auffällig, wo es wenig öffentlichen Personennahverkehr gibt, Menschen verstärkt auf das Auto angewiesen sind und lange Strecken zurücklegen“, erklärt Konstantin Kreye vom Öko-Institut. Damit die Maßnahmen dennoch akzeptiert werden, müsse die Politik gezielt gegensteuern und ihre Einnahmen aus der Verkehrswende teilweise rückverteilen. „Wir müssen möglichst zeitnah Konzepte entwickeln, mit denen zielgerichtet Haushalte mit geringem Einkommen beim Umstieg auf klimafreundliche Mobilitätslösungen unterstützt werden“, so Kreye. Dann könne die nachhaltige Transformation des Verkehrssektors durchaus noch gelingen.
Quelle: Studie „Verkehrssektor auf Kurs bringen: Szenarien zur Treibhausgasneutralität 2045“, Öko-Institut e. V. – Institut für angewandte Ökologie