Der Meeresboden ist die Endstation für alles Mögliche – von Sand und Schlamm bis hin zu organischen Überresten und Schadstoffen. Doch das macht die Tiefsee noch lange nicht zu einem statischen Grab. Wie Meeresbiologen jetzt herausgefunden haben, sorgen Gezeiten und Strömungen selbst in tausenden Metern Tiefe noch für überraschend dynamische und sogar jahreszeitlich wechselnde Bedingungen.
Auf den ersten Blick erscheint die Tiefsee als stockfinsterer Friedhof. Hier ist Endstation für Vieles im Meer: vom gigantischen toten Wal bis hin zum winzigen Kohlenstoffpartikel. In diese tausende Meter unter der Wasseroberfläche liegenden Regionen dringen weder Sonnenlicht noch die von Wind und Wetter erzeugten Wasserbewegungen hinab – so dachte man bisher. Doch diese vermeintliche Isolation und Ruhe trügt, denn genauso wie die Meere an ihrer Oberfläche von Strömungen und Wellen bewegt werden, geschieht dies auch am Meeresgrund – auch wenn wir über diese Untergrund-Strömungen bislang nur wenig wissen.
Dynamisch wie das Wetter
In einem bislang einzigartigen Projekt haben Forschende um Lewis Bailey vom National Oceanography Centre in Southampton nun die Meeresbodenströmungen vor Mosambik vier Jahre lang überwacht. Dafür verankerte das Team 34 spezielle Sensoren in bis zu 2,5 Kilometern Tiefe und ließ diese als akustische Unterwasser-Kameras die Strömungsdynamik überwachen. „Dies sind die ersten Messungen von Tiefseeströmungen in einem so großen Gebiet, über einen so langen Zeitraum und so nahe am Meeresboden“, betont Co-Autorin Elda Miramontes von der Universität Bremen.
Bislang ging man davon aus, dass die Strömungen der Tiefsee kontinuierlich und gleichmäßig verlaufen, doch die neue Messung zeigt nun ein komplett anderes Bild. Bailey und sein Team beobachteten, wie die Strömungen beschleunigten, sich verlangsamten und manchmal ihre Richtung sogar komplett änderten. „Die Meeresbodenströmungen vor der Küste Mosambiks sind viel variabler als wir erwartet hatten. Genau wie die Strömungen im oberen Ozean ändert sich ihre Intensität zwischen den Jahreszeiten und kann sich sogar im Laufe einiger Stunden vor- und zurückbewegen“, berichtet Bailey.
Co-Autor Ian Kane von der Universität Manchester vergleicht diese Dynamiken mit dem Wetter in seiner Heimat: „Zu sehen, wie sich diese Strömungen verhalten, ist ein bisschen wie die Beobachtung des Wetters in Manchester – es ändert sich ständig und ist oft überraschend.“
Neue Einblicke ins Klimaarchiv
Das Verhalten dieses „Tiefsee-Wetters“ zu kennen, ist in vielerlei Hinsicht aufschlussreich. So lassen sich anhand von Meeresbodenströmungen zum Beispiel die Wege natürlicher und vom Menschen verursachter Partikel nachverfolgen. Dadurch können Wissenschaftler dann mehr über die Details des Kohlenstoffkreislaufs oder über die Verbreitung menschlicher Schadstoffe in Erfahrung bringen. Gleichzeitig wird die Anhäufung verschiedener Partikel wie Schlamm, Sand und organischer Stoffe zur Rekonstruktion des Klimas und der Meeresbedingungen der Vergangenheit benötigt. Mehr über die Partikelbewegungen zu wissen, macht dieses wertvolle Tiefsee-Archiv und seine Informationen noch besser interpretierbar.
Quelle: MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen; Fachartikel: Nature Geoscience, doi: 10.1038/s41561-024-01494-2