Wie könnten die ersten organischen Moleküle entstanden sein, die zur Grundlage der irdischen Biologie avancierten? Eine Studie beleuchtet nun die mögliche Rolle von Asteroiden-Staub, der einst auf unseren Planeten regnete. Aus den Modellsimulationen geht hervor, dass sich dieses „gehaltvolle“ Material in Eis-Schmelzlöchern der frühen Erde stark angesammelt haben könnte. Dort hat der spezielle Substanz-Cocktail dann möglicherweise die präbiotische Chemie in Gang gesetzt, die am Anfang der Entwicklung des Lebens stand, sagen die Forschenden.
Leben bringt immer wieder neues Leben hervor – doch wie kam es zum ersten Schritt? Wie aus unbelebter Materie einst komplexe Verbindungen entstanden sind, die eine Selbstreplikation und einen Stoffwechsel ermöglichten, ist noch immer rätselhaft. Grundsätzlich scheint klar, dass sich die komplexen organischen Moleküle zunächst durch chemische Prozesse gebildet haben: Man nimmt an, dass in den ersten 500 Millionen Jahren der Erdgeschichte präbiotische Chemie RNA, DNA, Fettsäuren und Proteine hervorgebracht hat. Diese Bausteine könnten sich anschließend funktional vereinigt haben, wodurch die ersten biologischen Einheiten entstanden. Die vorhergehende Bildung der Grundbausteine erscheint dabei allerdings keineswegs zwangsläufig. Denn damit diese komplexen organischen Moleküle durch chemische Reaktionen entstehen können, sind relative hohe Konzentrationen der Elemente Stickstoff, Schwefel, Kohlenstoff und Phosphor nötig. Doch entsprechende Cocktails können sich aus irdischem Material kaum bilden, denn es bietet keine hohen Gehalte dieser Substanzen.
Lebens-Elemente aus dem All
Schon lange gibt es aber die Vermutung, dass Asteroiden die relevanten Mengen bereitgestellt haben könnten, denn sie sind nachweislich reich an den für das Leben nötigen Elementen. Doch dieser Erklärungsansatz ist strittig. Denn als Brocken liefern Meteoriten die Stoffe nur in einem begrenzten Umfeld. Das Forschungsteam um Craig Walton von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich hat sich deshalb mit einer anderen Möglichkeit befasst: Staub aus zerbrochenen Asteroiden könnte zum „Dünger“ der präbiotischen Prozesse auf der Erde geworden sein. Bisher gab es dabei allerdings den Einwand, dass das Material zu weit verstreut niederging, um relevante Mengen der Stoffe bereitzustellen. „Wenn man aber Prozesse einbezieht, die zu einer Aufkonzentrierung geführt haben könnten, sieht die Sache anders aus“, so Walton.
Um zu beleuchten, inwieweit der kosmische Staub die präbiotische Chemie versorgt haben könnte, haben Walton und seine Kollegen nun Modellsimulationen entwickelt. Darin flossen Annahmen über das Ausmaß des einstigen Staubregens ein. Auch heute noch fallen jährlich rund 30.000 Tonnen kosmischer Staubpartikel aus dem All auf die Erde. Doch den Forschenden zufolge ist davon auszugehen, dass in der frühen Entwicklungsgeschichte unseres Planeten Millionen von Tonnen niedergingen, die aus den damals häufigen Kollisionen von Asteroiden stammten. In die Modelle flossen zudem Annahmen über die Bedingungen auf der jungen Erde sowie Daten zu möglichen Anreicherungsprozesse von kosmischem Staub ein. „Neuere Forschung hat dabei Hinweise darauf geliefert, dass sich die Erdoberfläche sehr rasch abgekühlt und verfestigt hat und sich große Eisschilde gebildet haben“, sagt Walton.
Staub-Ursuppe in Eis-Schmelzlöchern
Wie das Team berichtet, verdeutlichten die Simulationen, dass sich Bereiche mit erheblichen Staubkonzentrationen gebildet haben könnten, die auch fortlaufend mit Nachschub versorgt wurden. Als die besten Orte für die Ansammlungen zeichneten sich dabei die einst eisbedeckten Bereiche der Erde ab. Besonders könnte ein Effekt zum Tragen gekommen sein, der auch heute noch bei Gletschern und Eisschilden bekannt ist: Die Eisoberflächen erscheinen oft schmutzig und vor allem in den Löchern, in denen sich Schmelzwasser absammelt, reichern sich zuvor auf das Eis gewehte Sedimente stark an. In solchen sogenannten Kryokonit-Löchern könnte sich einst auch der kosmische Staub stark aufkonzentriert haben, geht aus den Simulationen hervor.
Wie die Forschenden erklären, könnten sich die relevanten Elemente in diesen Kryokonit-Löchern aus den Staub-Partikeln gelöst haben. Sobald deren Konzentration dann einen kritischen Schwellenwert im Wasser erreichte, hätten von selbst chemische Reaktionen einsetzen können, die zur Bildung der organischen Moleküle am Ursprung des Lebens führten, sagen die Wissenschaftler. Auch die niedrigen Temperaturen wären dabei nicht etwa ungünstig gewesen: „Kälte schadet der organischen Chemie nicht, im Gegenteil. Reaktionen laufen bei niedrigen Temperaturen selektiver und spezifischer ab als bei hohen“, erklärt Walton. So wurde etwa bereits gezeigt, dass sich bei bestimmten Substanzkonzentrationen und Temperaturen um den Gefrierpunkt tatsächlich komplexe organische Moleküle bilden können.
Walton und seine Kollegen hoffen mit ihrer These nun die Diskussion um die Entstehungsgrundlagen der irdischen Biologie erneut anzuregen: „Unsere Studie wird wohl Kontroversen verursachen. Doch möglicherweise entwickeln sich dadurch auch neue Ideen über den Ursprung des Lebens“, meint Walton. Er und seine Kollegen planen indes, ihre theoretischen Ergebnisse auch durch experimentelle Daten zu untermauern. Konkret wollen sie in Laborgefäßen die Bedingungen nachstellen, die in den urzeitlichen Schmelzlöchern geherrscht haben könnten, und dann untersuchen, ob sich biologisch relevante Moleküle bilden.
Quelle: Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, Fachartikel: Nature Astronomy doi: 10.1038/s41550-024-02212-z