Beim Entstehen und Aussterben von Arten im Laufe der Evolution spielt der Wettbewerb zwischen verschiedenen Spezies eine wichtige Rolle. Doch galt das auch für unsere frühmenschlichen Vorfahren? Eine Studie zeigt, dass bei Vormenschen wie Australopithecus und Co. Konkurrenz einen ähnlichen Einfluss hatte wie bei anderen Wirbeltierarten – allerdings weniger wichtig war als klimatische Veränderungen. Für die Gattung Homo, aus der auch wir hervorgingen, zeigt sich dagegen ein ungewöhnliches Muster: Selbst wenn scheinbar alle ökologischen Nischen besetzt waren, entstanden neue Arten, die sich selbst neue Nischen schufen. Erst als der Homo sapiens als ultimativer Generalist auftauchte, starben die anderen Arten aus.
Anhand der Finken, die Charles Darwin (1809-1882) auf den Galapagosinseln fand, zeigt sich ein wichtiges Prinzip der Evolution: Gibt es in einer Region zahlreiche ökologische Nischen, entstehen verschiedene Arten, die diese Nischen füllen. Bei den Finken beispielsweise entwickelten manche kräftige Schnäbel zum Knacken von Nüssen, andere hingegen spezialisierten sich auf bestimmte Insekten. Sind alle ökologischen Nischen gefüllt, sorgt der Wettbewerb dafür, dass mehr Arten aussterben als neu entstehen. Dieses Prinzip erklärt wichtige Aspekte in der Evolution vieler Tierarten.
Neuer Blick auf den menschlichen Stammbaum
„In Bezug auf die Frühmenschen hat man sich allerdings bislang vor allem auf die Auswirkungen von Klimaveränderungen konzentriert, wenn es um Erklärungen ging, warum bestimmte Spezies neu entstanden oder ausgestorben sind“, schreiben Laura van Holstein und Robert Foley von der University of Cambridge. „Der Rolle des zwischenartlichen Wettbewerbs wurde dagegen bisher deutlich weniger Aufmerksamkeit gewidmet.“
Um herauszufinden, inwieweit auch die Homininen durch die Konkurrenz zu verwandten Arten beeinflusst wurden, analysierten die Forschenden den menschlichen Stammbaum und berechneten mit statistischen Modellen, wie die Artenvielfalt und das Vorhandensein natürlicher Ressourcen mit der Entstehung und dem Aussterben von Arten zusammenhingen. Neben sieben Angehörigen der Gattung Homo, zu der auch der moderne Mensch Homo sapiens zählt, bezog das Team auch Spezies aus Schwestergattungen und Vorläuferarten mit ein, darunter sieben Arten von Australopithecus und drei von Paranthropus.
Technologie eröffnet zusätzliche Nischen
Bei den Vormenschen Australopithecus und Paranthropus zeigte sich tatsächlich ein ähnliches Muster der Artbildung wie bei vielen anderen Säugetieren. „Die Rate der Entstehung neuer Arten steigt zunächst an und stagniert dann, während ab diesem Punkt die Aussterberaten zunehmen. Das deutet darauf hin, dass der Wettbewerb zwischen den Arten ein wichtiger evolutionärer Faktor war“, erläutert van Holstein. Beide Gattungen starben aber aus, bevor sie die berechnete Diversitätsgrenze erreicht hatten. „Das stimmt damit überein, dass das Klima eine größere Rolle beim Aussterben der Homininen spielte als die Konkurrenz zwischen den Arten“, so die Forschenden.
Bei der Gattung Homo dagegen stießen van Holstein und Foley auf ein ungewöhnliches Muster: „Je mehr Homo-Arten es gab, desto höher war die Rate der Speziation. Als diese Nischen gefüllt wurden, trieb irgendetwas die Entstehung weiterer Arten an. Das ist in der Evolutionswissenschaft fast einmalig“, sagt van Holstein. Eine Erklärung für dieses außergewöhnliche Muster könnte die menschliche Fähigkeit sein, Technologien zu entwickeln und zu nutzen. „Die Aneignung von Steinwerkzeugen oder Feuer oder intensive Jagdtechniken sind extrem flexible Verhaltensweisen“, sagt van Holstein. „Eine Spezies, die sie sich solche Techniken zunutze machen kann, kann sich schnell neue Nischen erschließen und muss nicht erst lange Zeit überleben, während sie neue Körperformen entwickelt.“
Angetrieben von der zwischenartlichen Konkurrenz, kombiniert mit der Fähigkeit, sich rasch an neue Gegebenheiten anzupassen, erweiterten die Angehörigen der Gattung Homo ihr Verbreitungsgebiet immer weiter, erschlossen immer neue ökologische Nischen und diversifizierten sich zu immer neuen Arten. Doch warum starben nach und nach alle Arten außer dem Homo sapiens aus? Lag es daran, dass der Homo sapiens als ultimativer Generalist in nahezu allen zuvor von anderen Frühmenschenarten genutzten ökologischen Nischen überleben konnte und seine Schwesterarten dadurch verdrängte? Oder hatte auch hier das Klima den größten Einfluss? „Das sind neue Fragen, die durch unsere Ergebnisse aufgeworfen werden“, schreiben van Holstein und Foley.
Quelle: Laura van Holstein (University of Cambridge, UK) et al., Nature Ecology & Evolution, doi: 10.1038/s41559-024-02390-z