Im Wein liegt nicht nur die Wahrheit, sondern auch eine Fülle von Informationen über seine Herkunft. So lässt sich noch nach zehn Jahren aus seinem chemischen Fingerabdruck ablesen, woher die Eichen stammten, aus denen die zum Reifen des Weins verwendeten Fässer gefertigt wurden, haben französische Forscher jetzt nachgewiesen. Das gilt sowohl für Rot- als auch für Weißweine. Die verwendete Analysentechnik erlaubt allerdings nicht, jeden einzelnen Inhaltsstoff zu charakterisieren ? man müsse die Ergebnisse vielmehr als eine Art Momentaufnahme der vielen komplexen Wechselwirkungen zwischen den zigtausenden Komponenten betrachten, die einen Wein ausmachen, berichten Régis Gougeon von der Universität von Burgund in Dijon und seine Kollegen.
Gougeon und sein Team nennen ihren Ansatz “Önolomik”, in Anlehnung an die Metabolomik, die sich mit der Untersuchung aller am Stoffwechsel (Metabolismus) eines Lebewesens beteiligten Verbindungen und Substanzen beschäftigt. Die Önolomik sei genau das gleiche, nur dass hier kein Organismus, sondern ein Wein das zu untersuchende System ist, erläutern die Wissenschaftler. Ihr Prinzip: Während bei den meisten bisherigen Analysen von Wein gezielt nach therapeutisch wirksamen oder geschmackstragenden Stoffen gesucht wurde, erfasst die Önolomik wahllos alle Verbindungen, die sich mit einer bestimmten Analysetechnik, in diesem Fall einer Massenspektroskopie, nachweisen lassen. Da auf diese Weise die Signale vieler tausend Verbindungen registriert werden, muss die Datenflut für eine konkrete Aussage gezielt statistisch ausgewertet werden.
Wie leistungsfähig dieser Ansatz ist, zeigten die Franzosen an einem Beispiel. Sie verglichen die chemischen Profile vor vier Weinen, einem weißen und drei roten, die vor etwa zehn Jahren als Teil eines Experiments in je zwölf verschiedenen Eichenfässern gereift waren. Das Ergebnis: Jeder Wein zeigte neben der charakteristischen Signatur der Traubensorte ein Signalmuster, das sowohl von der Art als auch der Herkunft der Eichen abhing, die für die Reifungsfässer verwendet worden waren. Besonders typisch waren dabei die Spuren, die das Eichenholz aus dem Bitscher Land in Lothringen hinterlassen hatte: In der chemischen Signatur des Weines fanden sich Signale von Stoffen, die von dort heimischen Flechtenarten produziert werden und die mit bisherigen Methoden nicht nachweisbar waren.
Wein sei chemisch gesehen ein immens komplexes Gebilde, dessen Zusammensetzung von der Umwelt, der Genetik der Trauben und den angewendeten Weinbaumethoden geprägt werde, so die Forscher. Die neue Methode illustriere unter anderem die Dynamik, mit der sich dieses System während der Produktion verändere. Die Önolomik liefere damit Momentaufnahmen einer Art Superorganismus und könne möglicherweise zur Etablierung einer System-Önologie, analog zur System-Biologie, führen, die das System Wein in einer Gänze untersucht.
Régis Gougeon (Universität von Burgund, Dijon) et al.: PNAS, Online-Vorabveröffentlichung, doi: 10.1073/pnas.0901100106 ddp/wissenschaft.de ? Ilka Lehnen-Beyel