Warum werden der Himalaya oder die Anden nicht noch höher? Entgegen der gängigen Annahme definiert nicht die Erosion von Gesteinen die Obergrenze der größten Gebirgsmassive der Erde, geht nun aus einer Studie hervor. Maßgeblich ist stattdessen das Kräftegleichgewicht in der Erdkruste. Demnach wird die Maximalhöhe erreicht, wenn der hebend wirkende Effekt durch den Druck der Erdplatten der Schwerkraftwirkung des Gebirges entspricht.
Die höchsten Gebirgszüge der Erde türmen sich entlang von sogenannten konvergenten Plattengrenzen auf. Dort bewegen sich zwei Erdplatten aufeinander zu, wodurch eine der beiden zum Abtauchen in den Erdmantel gezwungen wird. Bei dieser sogenannten Subduktion entstehen nach oben gerichtete Kräfte, die über Jahrmillionen hinweg zur Auffaltung von Gebirgen führen. Welche Prozesse dabei die Obergrenze des Wachstums bestimmen, wird in den Geowissenschaften seit langem kontrovers diskutiert.
Es herrschte bisher die Annahme vor, dass die Abtragung durch Wasser und Gletscher ausschlaggebend ist: Wo die Erosion stärker ist als die Hebung, schrumpfen Gebirge – überwiegt hingegen die Hebung, wachsen sie – so die bisherige Annahme. Doch aus der Studie der Wissenschaftler um Armin Dielforder vom Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam geht nun hervor, dass die Höhe der Gebirge vor allem durch die tektonischen Vorgänge im Erdinneren bestimmt wird.
Wie sie erklären, lassen sich die Prozesse der Gebirgsbildung mit den Reaktionen eines Tischtuchs vergleichen: Legt man beide Hände auf die Tischplatte unter dem Tuch und schiebt sie zusammen, faltet sich der Stoff darüber auf. Zugleich rutscht das Tuch aber durch das Gewicht der Falten immer wieder ein bisschen über die Handrücken. Die Falten würden dem Gebirge entsprechen, das Rutschen über die Handrücken der Reibung im Untergrund, erklären die Forscher.
Ein Kräftegleichgewicht ist maßgebend
Im Rahmen ihrer Studie haben sie anhand von geologischen Daten bei unterschiedlich hohen Gebirgszügen (Himalaya, Anden, Sumatra, Japan) eingeschätzt, wie stark die Hebung ist und wie intensiv das Gewicht des Gebirges dieser Kraft entgegenwirkt. So kamen sie zu theoretischen Maximalhöhen für jedes Gebirge, die sich einstellen, wenn
die beiden Kräfte ein Gleichgewicht erreicht haben. Wenn die Erosion einen starken Einfluss hätte, müssten die realen Höhen deutlich unter den theoretischen liegen, so die Argumentation.
Doch das ist offenbar nicht der Fall. Als die Forscher die Maximalhöhen mit den tatsächlichen Höhen der untersuchten Gebirge verglichen, zeigte sich: Obwohl sie in unterschiedlichen Klimazonen mit stark variierenden Erosionsraten liegen, erreichen sie alle in etwa die Höhen, die sich aus den theoretischen Berechnungen der geologischen Kräftegleichgewichte in der Erdkruste ergeben. Daraus geht hervor: Erosion durch Niederschläge und Gletscher hat keinen nennenswerten Einfluss auf die Höhe von Gebirgen. Ein Gebirge erreicht demnach auch bei starker Abtragung seine tektonisch bedingte Maximalhöhe, weil sich durch die Erosion sein Gewicht verringert und somit der Hebungseffekt begünstigt wird.
Die Studie wird nun sicherlich für einigen Diskussionsstoff unter Geologen sorgen. Sollten sich die Ergebnisse weiter betätigen, könnte sich eine ganz neue Sichtweise auf die Bildung und Entwicklung von Gebirgen entwickeln, schreibt das Deutsche GeoForschungsZentrum.
Quelle: Deutsches GeoForschungsZentrum, Fachartikel: Nature, doi: 10.1038/s41586-020-2340-7