Die Antwort weiß Michael Kessel vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen: “In den Hautzellen, die Kopfhaare produzieren, sind andere Programme aktiviert als in den Mutterzellen der Beinhaare oder anderer Haartypen”, erläutert der Entwicklungsbiologe. Denn der Körper besteht zwar aus Milliarden von Zellen, die alle in ihrem Zellkern den Bauplan des gesamten Körpers tragen. Doch trotz dieser identischen Erbinformation sind die Zellen nicht gleich: Da gibt es Hautzellen, Muskelzellen, Nervenzellen und viele andere Typen, die teilweise sehr unterschiedliche Aufgaben erfüllen müssen.
“Auf der DNA jeder einzelnen Körperzelle sitzen Schaltermoleküle, die bestimmte Informationen an oder abschalten”, erklärt Kessel. Bei einer Herzmuskelzelle sind dadurch beispielsweise Gene für die Herzfunktionen aktiviert, andere Programme sind dagegen abgeschaltet. “Man kann das Prinzip mit einem Computer vergleichen”, sagt der Experte: Auf der Festplatte können viele unterschiedliche Programme gespeichert sein. Damit sie arbeiten, müssen sie aber extra aktiviert werden. Die Grundfunktionen für alle Programme übernimmt beim Computer das Betriebssystem. Ähnlich ist das auch bei der Zelle: Einige Grundprogramme, wie beispielsweise die für den Stoffwechsel, müssen in jeder Zelle ablaufen. Die Spezialisierung der Zelltypen erfolgt dann über die Funktion weiterer Programme, die auf aktiven Genen beruhen.
“Beinhaar-Programm” aktiviert
“Die Spezialisierung zu bestimmten Zelltypen beginnt schon sehr früh während der Embryonalentwicklung im Mutterleib”, sagt Kessel. Die Eizelle besitzt noch ein Erbgut praktisch ohne Schaltermoleküle, die den Zelltyp festlegen. Nach der Befruchtung beginnt sie sich zu teilen – sehr schnell bekommt der entstehende Zellhaufen dann bereits eine Struktur und die Zellen teilen sich in Fraktionen auf. “Jetzt beginnen die ersten Festlegungen, die einer Zelle bestimmte Funktionen in dem winzigen Körper zuweisen”, erklärt Kessel.
Zellen eines Embryos, die noch die Fähigkeit besitzen, sich in viele unterschiedliche Zelltypen zu entwickeln, nennt man Stammzellen. Je nach ihrer Position im Zellverband geben ihnen bestimmte Botenstoffe Schritt für Schritt immer feinere Funktionszuweisungen. “Wie genau diese Regelprozesse zur Ausbildung eines Körpers mit seinen komplexen Strukturen führen, ist allerdings immer noch ein Forschungsgebiet mit vielen offenen Fragen”, sagt Kessel.
Zurück zum Bein- und Kopfhaar: Auch deren Eigenschaften basieren auf der Grundlage unterschiedlicher Programme in den Wurzelzellen, die bei der Entwicklung des Körpers festgelegt wurden. Dem Bein-Haar geben sie eine Wachstumsphase von nur etwa drei Monaten vor, dann fällt es aus und ein neues bildet sich. Bei Kopfhaaren kann dieser Zyklus dagegen über sieben Jahre betragen. So kann die Haupthaar-Pracht bis zu drei Meter Länge erreichen. Dank des richtigen Programms bleibt uns eine solche Haarlänge am Bein und an anderen Körperstellen glücklicherweise erspart. Würde man allerdings ein Stück Kopfhaut aufs Bein transplantieren, würde sich dessen Programm dort nicht ändern – lange Haare würden wachsen.
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