Von den Polen zum Äquator hin wird die Artenvielfalt größer. Zwei Studien an fossilem Meeresplankton zeigen nun, welche Faktoren dazu beigetragen haben, dass dieser Breitengradient der Diversität im Meer entstanden ist. Demnach spielen vor allem vertikale Temperaturunterschiede zwischen Meeresoberfläche und tieferen Wasserschichten eine wichtige Rolle. Entstanden ist der Breitengradient vor rund 15 Millionen Jahren, als die Pole vereisten und sich die Artenvielfalt verstärkt Richtung Äquator verschob. Der Blick in die Vergangenheit gibt auch Hinweise darauf, wie sich die marine Artenvielfalt angesichts des aktuellen Klimawandels verändern könnte.
Schon der deutsche Naturforscher Alexander von Humboldt stellte Anfang des 19. Jahrhunderts einen Breitengradient bei der Artenvielfalt fest: Je näher am Äquator, desto größer die Vielfalt. Die Ursachen dafür sind allerdings bis heute nicht vollständig verstanden. Die einfache Annahme „je wärmer, desto mehr Arten“ greift Studien zufolge zu kurz. Denn in diesem Fall hätte die Artenvielfalt in Warmphasen der Vergangenheit höher sein müssen als in Kaltphasen. Das trifft aber nicht immer zu.
Fossile Foraminiferen verraten Verschiebung
Zwei Forschungsteams haben nun unabhängig voneinander neue Puzzleteile zur Lösung der Frage beigetragen. Dazu werteten beide unterschiedliche Aspekte eines großen Datensatzes zu fossilen Meeresorganismen aus, den sogenannten planktischen Foraminiferen. Dabei handelt es sich um Einzeller mit einer kalkhaltigen Schale, die bis heute eine wichtige Grundlage mariner Nahrungsnetze bilden. Da die Schalen der Foraminiferen als Mikrofossilien im Meeressediment erhalten bleiben, gibt es detaillierte fossile Belege, die bis ins Kambrium vor rund 560 Millionen Jahren zurückreichen. In dem Datensatz Triton, der 2021 veröffentlicht wurde, sind mehr als eine halbe Million Foraminiferen-Spezies erfasst, deren Fossilien bei international koordinierten Meeresbohrungen in allen Ozeanen der Erde gesammelt wurden. „Die fossilen Aufzeichnungen der planktischen Foraminiferen stellen ein unglaubliches biologisches Archiv dar“, sagt Adam Woodhouse von der University of Texas in Austin.
Gemeinsam mit seinem Team analysierte er den Datensatz unter der Fragestellung, wie sich die Vielfalt der Foraminiferen in verschiedenen Breitengraden im Laufe der Jahrmillionen verändert hat. Dabei kategorisierten die Forscher die einzelnen Spezies nach ihren äußerlichen und ökologischen Merkmalen. „Ökogruppen und Morphogruppen sind über die gesamte Erdneuzeit hinweg konsistente Gruppen“, erklärt Co-Autor Anshuman Swain von der University of Maryland. „Sie haben also Vorteile gegenüber Artenstudien, die auf uneinheitlichen Gruppen basieren. Das macht es einfacher, Vorhersagen anhand von Merkmalen statt anhand von Arten zu treffen.“ Für 17 Morphogruppen und sechs Ökogruppen verfolgten die Forscher anhand der Fossilien, wie sie sich innerhalb der letzten 15 Millionen Jahre geographisch verteilt haben.
Dabei stellten sie fest, dass die Gruppen zunächst in ähnlichem Maße über den Planeten verteilt waren. Mit der Zeit jedoch verschob sich die Vielfalt immer weiter Richtung Äquator – insbesondere während der letzten acht Millionen Jahre. Diese Verschiebung fiel mit der Bildung der polaren Eisschilde zusammen und wurde nach Ansicht der Forscher wahrscheinlich durch diese Klimaveränderung ausgelöst: Ökologische und morphologische Gruppen an den Polen starben aus oder wanderten gen Äquator, während die Vielfalt am Äquator durch zuwandernde und neu entstehende Lebensgemeinschaften zunahm.
Temperaturunterschiede in der Wassersäule fördern Artenvielfalt
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch Isabel Fenton von der University of Oxford und ihre Kollegen. Sie kombinierten Triton-Daten der letzten 40 Millionen Jahre mit Paläoklimamodellen. Mit ihrer Analyse auf Ebene der einzelnen Arten stellten sie fest, dass sich das Gefälle der Artenvielfalt von niedrigeren zu höheren Breitengraden erstmals vor etwa 34 Millionen Jahren andeutete und vor etwa 15 bis zehn Millionen Jahren deutlich zunahm – einhergehend mit einer Phase der globalen Abkühlung. Dies deckt sich demnach mit dem von Woodhouse und seinem Team ermittelten zeitlichen Ablauf.
Im Gegensatz zur intuitiven Annahme, dass Wärme eine höhere Artenvielfalt ermöglicht, zeigt die Analyse von Fenton und ihren Kollegen jedoch, dass die Vielfalt der Arten gerade bei der Abkühlung zunahm. Der Grund aus Sicht der Forscher: „Durch die Abkühlung vergrößerte sich der vertikale Temperaturgradient in äquatornahmen Gewässern, also die Temperaturunterschiede zwischen Meeresoberfläche und tieferen Wasserschichten. Das könnte mehr ökologische Nischen und damit neue Möglichkeiten für die Entstehung neuer Arten geschaffen haben.“ Diese Temperaturunterschiede werden durch die globale Zirkulation verstärkt, bei der sich kaltes Wasser von den Polen unter die warmen Wassermassen der Tropen schiebt.
Abschätzen zukünftiger Entwicklungen
Beide Forschungsteams stimmen darin überein, dass die neuen Erkenntnisse auch dazu beitragen können, zukünftige Reaktionen auf die derzeitige globale Erwärmung besser abschätzen zu können. So ist aktuell zu beobachten, dass sich die Verbreitungsgebiete von Meeresorganismen aufgrund des Klimawandels wieder in Richtung der Pole verschieben. „Wenn wir verstehen, warum Arten in der Frühgeschichte in Äquatornähe vielfältiger und zahlreicher waren als in Polnähe, können wir wichtige Erkenntnisse darüber gewinnen, wie marine Arten in Zukunft reagieren könnten“, sagt Fentons Co-Autor Alexander Farnsworth von der University of Bristol.
Woodhouse ergänzt: „Die derzeitige Biosphäre der Erde hat sich über Millionen von Jahren langsam an eine Welt der Eiszeiten angepasst. Daher sind die von uns dokumentierten Trends potenziell besorgniserregend, denn wenn der vom Menschen verursachte Klimawandel uns plötzlich in eine Erde von vor acht Millionen Jahren, vor der Eiszeit, zurückversetzt, könnten wir die marinen Lebensgemeinschaften des gesamten Ozeans nachteilig umstrukturieren.“
Quellen: Adam Woodhouse (University of Texas at Austin) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-023-05694-5; Isabel Fenton (University of Oxford) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-023-05712-6