Das Fischen nach großen Haien im Nordatlantik hat bedeutende Folgen für das Ökosystem: Weil ihnen die natürlichen Feinde ausgingen, vermehrten sich die Beutetiere der großen Haie wie Rochen oder kleinere Haie in den letzten Jahrzehnten stark. Mit ihrem unersättlichen Hunger gefährden sie den Fortbestand der Muschelpopulationen an der nordamerikanischen Ostküste, haben kanadische Forscher gezeigt. Indem sie zwölf Statistiken der vergangenen 35 Jahre kombinierten, bestätigten sie den bereits vermuteten Zusammenhang zwischen der Abnahme von Hai- und Muschelbeständen.
Die Bestände vieler großer Haiarten haben seit 1970 um 97 Prozent abgenommen, die des
Bullenhais, des Düsteren Hais und des
Glatten Hammerhais gar um 99 Prozent, schreiben Ransom Myers und seine Kollegen. “Diese Abnahmen sind nicht erstaunlich, wenn man bedenkt, wie viele Haie in den vergangenen Jahrzehnten gefischt worden sind, um den weltweiten Bedarf an Haifleisch und -flossen zu decken,” sagt Julia Baum, Mitautorin der Studie.
Im gleichen Ausmaß wie die Bestände der großen Haie abnahmen, nahmen die ihrer Beutetiere zu. Am auffälligsten ist dies bei den so genannten Kuhnasenrochen: Ihre Population nimmt jährlich um acht Prozent zu. Nach Schätzungen leben heute über 40 Millionen dieser bis zu zwei Meter langen Rochen unweit der nordamerikanischen Ostküste. Während sich die Muschelbestände vor North Carolina in den frühen 1980er Jahren jeweils von den spätsommerlichen Raubzügen der Kuhnasenrochen erholt haben, gibt es seit 2004 so wenig Muscheln, dass sich ihr Fang nicht mehr lohnt, so die Forscher.
Die Fischerei soll laut den Wissenschaftlern mit Blick auf die gesamte Nahrungskette ganzheitlich betrachtet und gesteuert werden. Sie fordern, den Fang der an oberster Stelle der Nahrungskette stehenden großen Haie zu beschränken und das Verbot des als Finning bezeichneten grausamen Abschneidens ihrer Flossen bei lebendigem Leibe konsequent durchzusetzen. Für Haiflossen gibt es einen blühenden Schwarzmarkt: Haiflossensuppe gilt in einigen Ländern als Delikatesse.
Ransom Myers (Dalhousie-Universität, Halifax) et al.: Science, Bd. 315, S. 1846 ddp/wissenschaft.de ? Fabio Bergamin