Europa ist zu mehr als einem Drittel mit Wald bedeckt. Doch wie nun eine Studie aufzeigt, reißen in diesen Wäldern seit 2016 vermehrt Lücken auf. Im Vergleich zu den Jahren davor hat die gerodete Fläche in der EU um 43 Prozent zugenommen, wie eine Studie zeigt. Die jährlich entnommene Wald-Biomasse stieg sogar um 69 Prozent gegenüber dem Zeitraum von 2011 bis 2015. Am stärksten macht sich dieser Anstieg in der Rodung in Schweden und Finnland bemerkbar, aber auch in Polen, Spanien oder Frankreich werden seither mehr Waldstücke abgeholzt. In Deutschland ist der Trend hingegen weitgehend stabil. Die Forscher führen diese Entwicklungen vor allem auf eine gestiegene Holznachfrage zurück.
Wälder sind nicht nur die „grüne Lunge“ unseres Planeten – sie wirken auch als Puffer im Klimasystem. Denn die Bäume nehmen bei der Photosynthese Kohlendioxid (CO2) auf und bauen es in Form organischer Verbindungen in ihre Gewebe ein. Damit tragen sie zur Senkung des CO2-Gehalts der Atmosphäre bei. Erst kürzlich kamen Forscher in einer Studie zu dem Schluss, dass eine gezielte weltweite Aufforstung bis zu zwei Drittel der anthropogenen CO2-Emissionen ausgleichen könnte. Auch am Erreichen der im Klimaabkommen von Paris festgelegten Klimaziele haben Wälder einen erheblichen Anteil – auch und gerade in der Europäischen Union. “In den Ländern der EU machen Wälder zurzeit einen Anteil von rund 38 Prozent der Fläche aus”, berichten Guido Ceccherini vom Forschungszentrum der EU in Ispra und seine Kollegen. “Die Menge des durch diese Wälder in der EU gebundenen Kohlenstoffs ist in den letzten 25 Jahren weitgehend stabil geblieben und gleicht momentan rund zehn Prozent des gesamten Treibhausgas-Ausstoßes der EU aus.”
Abrupter Wandel ab dem Jahr 2016
Doch über die Waldentwicklung der letzten Jahre existierten bislang nur unvollständige Daten. Denn in vielen Ländern finden Waldinventuren wegen ihres hohen Aufwands nur alle fünf bis zehn Jahre statt, Satellitenbilder wiederum sind zwar aktueller, aber oft nur grob aufgelöst. Um einen besseren Überblick zu gewinnen, haben Ceccherini und sein Team nun hochaufgelöste Walddaten mehrerer Landsat-Satelliten der NASA mit nationalen und europaweiten Datenquellen kombiniert. In einer computergestützten Auswertung ermittelten sie daraus Veränderungen der Waldfläche in 26 EU-Ländern in der Zeit von 2004 bis 2018. Flächen, in denen große Waldbrände oder Sturmschäden den Baumbestand zerstört haben, nahmen sie aus der Berechnung heraus. Dadurch konnten sie feststellen, wo und wie viele Waldflächen primär durch menschliche Aktivitäten hinzugekommen oder verschwunden sind.
Die Auswertungen ergaben, dass die Waldflächen und damit auch die Rodung und Entnahme von Holz in der Zeit von 2004 bis 2015 sehr stabil war. Sowohl in der Verteilung wie in der Gesamtfläche gab es in den EU-Ländern nur wenig Veränderungen. “Im Gegensatz dazu haben wir einen plötzlichen Anstieg der Entwaldung für die Jahre 2016 bis 2018 beobachtet”, berichten Ceccherini und seine Kollegen. Die gerodete Waldfläche nahm in diesem Zeitraum um 43 Prozent gegenüber dem Mittel von 2004 bis 2015 zu. Die jährlich entnommene Holz-Biomasse ist dadurch sogar um 69 Prozent gegenüber dem Zeitraum 2011 bis 2015 gestiegen. Die Forscher führen diese abrupte Zunahme des Holzeinschlags primär auf Veränderungen in der Bewirtschaftung der Wälder und die Rodung von Waldflächen zurück, nicht auf natürliche Effekte wie Sturm oder Feuer, denn diese seien in der Analyse schon herausgerechnet worden.
Nadelwälder am stärksten betroffen
Aus den Analysen geht auch hervor, wo die meisten Waldflächen gerodet wurden. “Schweden und Finnland haben zusammen einen Anteil von mehr als 50 Prozent an der in den letzten Jahren abgeernteten Waldfläche”, berichten die Wissenschaftler. “Polen, Spanien, Frankreich, Lettland, Portugal und Estland machen zusammen 30 Prozent aus.” In diesen und weiteren Ländern hat der jährliche Waldflächenverlust zudem allgemein zugenommen. Im Gegensatz dazu war der Trend in Deutschland, Dänemark, Belgien und den Niederlanden leicht abnehmend, so Ceccherini und sein Team. In 21 der 26 EU-Länder hat sich auch die Größe der einzelnen gerodeten Waldstücke im Laufe der Zeit um 44 Prozent erhöht. An stärksten von den Rodungen betroffen sind Nadelwälder, die vor allem in Skandinavien und dem Baltikum vorherrschen. In Polen und Italien fand der größte Holzeinschlag dagegen in Misch- und Laufwäldern statt, wie die Analysen ergaben.
Als treibende Kraft hinter dem fast EU-weiten Trend zu mehr Waldrodungen sehen Ceccherini und seine Kollegen vor allem die gestiegene Nachfrage nach Holz und ein geändertes Forstmanagement. “Auch wenn die sozioökonomischen Antriebe und politischen Rahmenbedingungen von einem Land zum andere variieren können, bestätigen alle wirtschaftlichen Indikatoren zur Holznachfrage und dem Holzmarkt ein substanzielles Wachstum in diesem Bereich”, konstatieren die Wissenschaftler. Die steigende Nachfrage nach Holz führen sie unter anderem auf die stärkere Nutzung von Holz als nachhaltigem Ersatzprodukt für Kunststoffe oder Metalle zurück, aber auch auf die Erzeugung von Energie aus Biomasse. Allerdings: Ob die Waldflächen wirklich primär aus wirtschaftlichen Gründen gerodet wurden oder möglicherweise nur deshalb, weil beispielsweise Borkenkäfer oder die Trockenheit die Bäume zu stark geschädigt haben, lässt sich anhand der in dieser Studie erhobenen Daten nicht ermitteln.
Hinzu kommt: Diese Rodungen in Europa sind nicht gleichzusetzen mit Rodungen beispielsweise im Amazonasgebiet, wo Wälder vor allem in Weiden und landwirtschaftlichen Anbauflächen umgewandelt werden. “Es muss klargestellt werden, dass es sich hier nicht um Waldverlust im eigentlichen Sinne handelt, sondern um die Ernte von Wald, der in aller Regel anschließend verjüngt wird”, betont auch der nicht an der Studie beteiligte Forstwissenschaftler Jürgen Bauhus von der Universität Freiburg. “Man kann hieraus nicht auf die Umwandlung von Wald zu anderen Nutzungsformen schließen. In den meisten Fällen wäre das rechtlich nicht so einfach möglich, da gesetzlich vorgeschrieben ist, dass der Wald erhalten werden muss.”
Quelle: Guido Ceccherini (European Commission Joint Research Centre, Ispra) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-020-2438-y