Statt den Boden zu bedecken, wachsen sie durch verholzte Äste und Zweige in die Höhe: Schon Charles Darwin wunderte sich über die seltsame Vielfalt bei den Gehölzpflanzen auf Vulkaninseln. Beobachtungen nach Eruptionen auf La Palma legen nun nahe, dass es sich um eine Anpassung an die häufigen Ascheregen handelt: Im Gegensatz zu krautigen Pflanzen können die Gehölze der Kanareninsel auch nach einer Aschebedeckung von bis zu einem halben Meter Dicke überleben.
Eigentlich sind Vulkane eher für ihre zerstörerische Kraft bekannt – doch sie können auch schöpferisches Potenzial entfalten: Besonders auf vulkanisch geprägten Inseln ist die Natur oft besonders üppig und erstaunlich viele Lebewesen haben sich zu neuen Spezies entwickelt. Diese lebensspendende und Diversität fördernde Wirkung hat mit verschiedenen Faktoren zu tun: Die Feuerberge im Meer können auf einem relativ kleinen Raum für verschiedene Ökosysteme mit unterschiedlichen Bedingungen bei den Temperaturen, der Feuchtigkeit, der Lichteinstrahlung und der Nährstoffangebote sorgen. So ergeben sich relativ viele Nischen – das Leben entfaltet sich.
Seltsame Gehölze im Visier
Zu den Besonderheiten der Natur vieler ozeanischer Vulkaninseln gehört dabei auch eine spezielle Gehölzpflanzen-Gemeinschaft. Überraschend ist dabei vor allem der Vergleich mit biologisch verwandten Arten auf dem Festland. Denn viele der verholzten Insel-Spezies gehören zu Familien, die auf dem Festland durch krautige Pflanzenarten vertreten sind. Konkret bedeutet das: Gruppen, deren Vertreter dort nur am Boden wachsen, wie etwa Disteln, haben auf Vulkaninseln Formen hervorgebracht, deren Blätter an hochgewachsenen hölzernen Pflanzenteilen sitzen. Bisher wurde diese Entwicklung mit dem Wettbewerb um Sonnenlicht oder durch Anpassungen an Trockenheit erklärt. Dennoch blieb diese spezielle Artentwicklung auf den Vulkaninseln rätselhaft.
Wie das Team um Carl Beierkuhnlein von der Universität Bayreuth berichtet, zeichnete sich der neuentdeckte Treiber des evolutionären Phänomens in der Folge der heftigen Vulkanausbrüche ab, die sich 2021 auf La Palma ereignet haben. „Die Eruptionen des Vulkans Tajogaite boten eine einmalige Gelegenheit für biogeografische Untersuchungen. Seit vielen Jahren werden geologische und klimatische Veränderungen auf den Kanareninseln wissenschaftlich präzise erfasst, sodass neue Beobachtungen hinsichtlich der insularen Vegetation sich gut in größere Erklärungszusammenhänge einfügen lassen“, sagt Beierkuhnlein.
Überleben nach dem Ascheregen
Vier Monate nach dem Ende der Eruptionen untersuchte er mit seinen Kollegen die geologischen und biologischen Folgen des Ascheregens auf der Insel La Palma. Wie das Team berichtet, hatte der Vulkanausbruch die gesamte Inselfläche mit dem pyroklastischen Material überschüttet, das in manchen Bereichen beachtliche Schichtdicken erreichte. Überraschenderweise hatten aber viele Gehölzpflanzen, die nur auf La Palma vorkommen, die bis zu einem halben Meter tiefe Verschüttung überlebt und standen schon nach wenigen Wochen wieder in voller Blüte. Die meisten Kräuter und Gräser waren hingegen unter den Ascheschichten verendet. Offenbar hatten demnach die erhobenen und widerstandsfähigen Strukturen den Insel-Gehölzen das Überleben in der vulkanischen Katastrophe ermöglicht.
Wie das Team erklärt, liegt somit nahe, dass der Selektionsdruck durch häufig wiederkehrende Ascheregen-Ereignisse zu der Entwicklung der speziellen Gehölzpflanzen auf La Palma und auch auf anderen ozeanischen Vulkaninseln geführt hat. Dabei entwickelten sich demnach Populationen von krautigen Pflanzenarten durch die Zunahme des Holzanteils über viele Generationen hinweg zu den endemischen Gehölzpflanzen.
„Auch andere Faktoren, wie beispielsweise klimatische Gegebenheiten könnten zwar das Wachstum von Gehölzpflanzen auf ozeanischen Inseln weiter begünstigt und gesteigert haben. Doch unsere Beobachtungen und Messungen auf La Palma sprechen für die Annahme, dass Vulkanismus ein bisher unterschätzter Treiber der Evolution auf ozeanischen Inseln ist. Die biogeografischen und ökologischen Folgen vulkanischer Eruptionen sollten daher nun künftig genauer als bisher untersucht werden“, sagt Beierkuhnlein abschließend.
Quelle: Universität Bayreuth, Fachartikel: Nature, npj biodiversity, doi: 10.1038/s44185-023-00018-2