So niedlich die Kleinbären auch sind, sie gehören nicht in die heimische Tierwelt. Sie sind eine so genannte invasive gebietsfremde Art. So nennen Biologen Organismen, die in eine neue Umgebung kommen und sich dort unkontrolliert vermehren. Die Auswirkungen invasiver Arten sind vielfältig, warnt der Senat der Bundesforschungsanstalten des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) in seinem Forschungsreport (2/2002): Sie verdrängen heimische Arten, kreuzen sich mit ihnen oder schleppen Epidemien ein. Mitunter verändern sie sogar ganze Ökosysteme.
Biologische Invasoren sind eines der größten ökologischen Probleme weltweit. Nicht nur Tiere, sondern auch Pflanzen wie der Riesen-Bärenklau breiten sich in der Fremde massiv aus. Es gibt viele Gründe, warum in der Heimat völlig unauffällige Arten woanders plötzlich zur Plage werden. Einen erläutern amerikanische Forscher in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift “Nature” (Bd. 421, S. 628): Offenbar nehmen die Einwanderer kaum Parasiten mit in die neue Umgebung. Die Forscher um Mark Torchin von der Universität Kalifornien in Santa Barbara untersuchten ausgewanderte 26 Arten. Im neuen Lebensraum litten die Tiere nicht unter halb so vielen Parasiten wie in ihrer ursprünglichen Heimat.
Mit der zunehmenden Globalisierung haben es Organismen aller Art leicht, in kürzester Zeit Strecken zurückzulegen, die sie aus eigener Kraft vermutlich nie bewältigen würden. Die meisten Invasoren kommen dabei nicht wie der Waschbär mit Absicht in eine neue Heimat, sondern reisen zufällig als blinde Passagiere: Quallen landen im Ballastwasser von Ozeanriesen, Pflanzensamen bleiben an Fernreisenden hängen, Ameisen reisen an Bord von Frachtschiffen mit.
Ameisen sind einer der massivsten biologischen Invasoren überhaupt. In ihrer Heimat bekämpfen sich die verschiedenen Stämme vieler Ameisenarten untereinander und halten sich so gegenseitig in Schach. Sie erkennen sich an chemischen Signalstoffen. Artgenossen, die im selben Nest leben, sind genetisch nah verwandt und haben daher einen ähnlichen Geruch. Wer anders riecht, wird angegriffen. Dieser Mechanismus erklärt, warum die Ameisen in neuen Gefilden so erfolgreich sind, berichten Neil Tsutsui von der Universität Kalifornien und seine Kollegen in der Fachzeitschrift “Conservation Biology” (Februarausgabe). Wenn nur wenige Verwandte gemeinsam “auswandern”, neue Gefilde besiedeln und sich dort verbreiten, sind sie genetisch alle nahe verwandt. Die Kontrolle durch feindliche Stämme geht völlig verloren. Die Insekten bilden in der Fremde riesige Superkolonien, die über Tausende von Kilometern reichen können.
Sind solche Zusammenhänge verstanden, können unerwünschte Eindringlinge effektiver bekämpft werden, sagt Tsutsui. Beispielsweise könnten genetische Varianten der Ameisen eingeführt werden, so dass sich die Stämme stärker voneinander unterscheiden und aggressiver gegeneinander werden.
Doch nicht jeder weltreisende Organismus wird zum Invasor. Im Gegenteil: Oft können Neuankömmlinge aus den verschiedensten Gründen gar nicht Fuß fassen oder bereiten schlicht kleine Probleme. Doch leider ist so gut wie überhaupt nicht abzusehen, welche Auswirkungen eine bestimmte Art in einem neuen Ökosystem haben wird.
Also was tun gegen die Einwanderer? “Erst schießen, dann fragen”, lautet der radikale Ratschlag des amerikanischen Biologen Daniel Simberloff von der Universität Tenessee in Knoxville. Man müsse die biologischen Hintergründe nicht verstehen, um invasive Arten effektiv bekämpfen zu können, argumentiert Simberloff in seinem Beitrag in “Conservation Biology”. Je früher ein Eindringling massiv bekämpft wird, desto besser seien die Chancen, ihn auch wieder endgültig loszuwerden.
In jedem Fall sollte die Einbringung und das Management gebietsfremder Arten sorgfältig bewertet werden, sagt auch das BMVEL. Da kaum zu ahnen ist, welche Arten Probleme verursachen, bestehe hier großer Forschungs- und vor allem Regelungsbedarf. Im Falle des Waschbären kommt allerdings vermutlich jede Hilfe zu spät. Sein Vormarsch wird kaum noch aufzuhalten, sondern höchstens noch einzudämmen sein.