Bei Käfern oder Krebsen sind sie die Regel: Starre, stabile Außenpanzer, die als Exoskelett den zarten Körper dieser wirbellosen Tiere schützen. Knochen oder andere innerer Stützstreben sucht man dafür bei ihnen vergebens. Aber es gibt auch Wirbeltiere, die schützende äußere Hüllen entwickelt haben, Beispiele sind der Schuppenpanzer vieler Krokodile oder der Gürteltiere. Der große Unterschied zu den Wirbellosen aber besteht im Ursprung dieser Panzer. Er entsteht bei diesen Wirbeltieren meist aus Hautschichten, die sich verdickt und gehärtet haben. Krokodil und Gürteltier büßen daher dafür keinerlei Knochensubstanz ein, ihr Skelett ist genauso vollständig wie das anderer Wirbeltiere ohne einen solchen Außenpanzer.
Schützender Panzer, aber keine Rippen
Aber es gibt eine bis heute rätselhafte Ausnahme: die Schildkröten. Diese Reptilien scheinen eine seltsame Mischung aus beiden evolutionären Strategien der Panzerbildung entwickelt zu haben. Ihr stabiler Bauch und Rückenpanzer besteht aus massiven Knochenplatten, die von einer lederartigen Hautschicht überzogen sind. Immerhin gut ein Drittel des Gesamtgewichts macht dieser Panzer aus. Das Einzigartige an dieser Errungenschaft der Schildkröte aber erschließt sich erst bei einem Blick in ihr Inneres: eine Wirbelsäule oder Rippen sucht man dort vergebens. Das ist kein Wunder, denn genau diese Skelettteile nebst einem Teil der Schulter sind es, die im Laufe der Evolution nach außen wanderten, breiter und flacher wurden und dann schließlich zum Knochenpanzer verschmolzen. Damit liegt dieser Panzer zwar außen, ist aber dennoch Teil des Skeletts.
Weil das so unglaublich und extrem scheint, streiten sich seit fast schon zwei Jahrhunderten Wissenschaftler über die genaue Zusammensetzung des Schildkrötenpanzers. Zankapfel ist dabei vor allem die Frage, ob nicht vielleicht doch auch exoskeletale Anteile, also beispielsweise verknöcherte Hautgewebe, am Panzerbau beteiligt sind: Oder aber ob tatsächlich der gesamte Panzer nur aus dem umgebildeten Innenskelett besteht, das irgendwie im Laufe der Evolution seinen Weg nach außen fand.
Embryos im Vergleich
Tatsuya Hirasawa vom RIKEN Zentrum für Entwicklungsbiologie in Kobe und seine Kollegen haben sich diesem Streitpunk nun erneut angenommen – und Neues entdeckt. Für ihre Studie hatten sie Chinesische Weichschildkröten, Hühner und Alligatoren bei der Embryonalentwicklung beobachtet. Wie sie feststellten, beginnt die Panzerbildung bei den Schildkröten nicht in der Haut, sondern in tieferen Gewebsschichten, dort, wo die Knochen entstehen. In den allerersten Stadien entwickeln sich daher die Rippen von Hühnern, Alligatoren und Schildkröten noch gleich. Beim Alligator entstehen allerdings schon ganz früh auch die Wurzeln des späteren Panzers: in die Gewebe der späteren Körperhülle wandern knochenbildende Zellen ein.
Das ist bei der Schildkröte nicht der Fall, wie die Beobachtungen zeigten. Stattdessen beginnt bei der Schildkröte ein großer innerer Umbau: Die Vorläufer der Rippen und Rippenmuskeln des Embryos verlagern sich dabei allmählich nach hinten. Am Rücken angekommen, wird das Muskelgewebe wieder abgebaut und der Knochen wächst langsam in die Rippenzwischenräume ein – der durchgehende Knochenpanzer entsteht. “Dies zeigt, dass der Hauptteil des Panzers ausschließlich aus den endoskeletalen Rippen entsteht”, berichten die Forscher.
Gestützt wird ihre Beobachtung auch durch Fossilfunde: So besaß Odontochelys, ein vor rund 220 Millionen Jahren verbreiteter Urahn der heutigen Schildkröten, noch keinen geschlossenen Rückenpanzer. Dafür aber trugen die Rippen dieser Tiere bereits plattenähnliche Auswüchse. Hirasawa und seine Kollegen identifizierten im Rahmen ihrer Studie noch ein weiteres, hilfreiches Fossil, den etwa gleich alten Meeressaurier Sinosaurosphargis yunguiensis. Sein Knochenbau zeigt auffällige Ähnlichkeiten sowohl mit Odontochelys als mit den Schildkröten, wie die Forscher berichten. Auch bei ihnen scheint der starre Panzer nicht in der Haut, sondern in den tieferen, um die Rippen herumliegenden Gewebsschichten zu entstehen.
“Die Studie der ungewöhnlichen Anpassung der Schildkröten in Form ihres Panzers lehrt uns nicht nur die große Vielfalt der Tierwelt, sie verrät auch einiges über die evolutionären Programme, die Baupläne für Körper wie dem unsrigen entstehen ließen”, konstatieren die Forscher.
In bild der wissenschaft 12_13 widmen wir den Schildkröten einen ausführlichen Beitrag. Darin erfahren Sie, warum die Panzertiere uns Menschen ähnlicher sind, als vermutet, und warum wir viel von ihnen lernen können – zum Beispiel, wie man ohne Sauerstoff überlebt.