Als die Dinosaurier die Erde dominierten, waren die meisten unserer Säugetiervorfahren kaum größer als eine Ratte. Dafür zeigten sie in Lebensweise und Speiseplan eine umso größere Vielfalt. Davon zeugt nun auch ein Fossilfund in China: Paläontologen haben am Knochen eines 20 Meter langen Dinosauriers die Bissspuren eines kleinen Urzeit-Säugers entdeckt. Offenbar knabberte das Tier vor rund 160 Millionen Jahren am Kadaver der Riesenechse herum. Seine Zahnabdrücke sind der älteste Beleg für das Aasfressen unserer fernen Vorfahren – und die ältesten Bissspuren eines Säugetieres an einem Dinosaurierknochen.
So erfolgreich und vielgestaltig die Säugetiere heute sind – ihre Anfänge waren eher bescheiden. “Die frühen Säugetiere lebten mehr als 160 Millionen Jahre lang im Schatten der Dinosaurier”, erklärt Erstautor Felix Augustin von der Universität Tübingen. “Sie blieben in dieser Zeit klein und unauffällig und erreichten im Schnitt nur ein Gewicht von etwa hundert Gramm.” Doch Fossilfunde belegen, dass diese frühen Säuger schon eine erstaunliche Artenvielfalt entwickelt hatten und viele sehr unterschiedliche ökologische Nischen besetzten. So kamen neben den zahlreichen Bodenbewohnern auch halb im Wasser lebende, baumbewohnende, grabende und sogar gleitende Lebensweisen vor. Ähnlich vielseitig war vermutlich auch die Ernährung dieser ersten Säugetiere. Paläontologen gehen davon aus, dass sie von Pflanzenfressern über Allesfresser und Insektenfresser bis hin zu kleinen Raubtieren und Aasfressern reichte. Fossile Belege dafür gibt es allerdings bisher kaum.
Winzige Bissspuren am fossilen Knochen
Umso spannender ist nun ein Fund, den Augustin und seine Kollegen im Nordwesten Chinas gemacht haben. Im Rahmen einer chinesisch-deutschen Expedition im Jahr 2000 hatten sie zahlreiche Fossilien von Wirbeltieren aus dem Zeitalter des Jura gefunden und geborgen. Unter diesen waren neben den Knochen großer Dinosaurier, Schildkröten und Krokodile auch zahlreiche Relikte von kleinen Säugetieren aus der Zeit vor 160 Millionen Jahren. Als die Wissenschaftler nun einige dieser fossilen Knochen näher untersuchten, fielen ihnen winzige Nagespuren an einem der Knochenfragmente auf. Diese Spuren bestanden aus zwei annähernd parallelen Reihen von flachen, länglichen Gruben im Knochen. Um herauszufinden, wer diese Spuren hinterlassen haben könnte, verglichen sie ihre Form und Größe mit denen verschiedener kleinerer Tiere, darunter sowohl Säugetiere als auch Reptilien.
Aufgrund dieser Vergleiche kommen die Paläontologen zu dem Schluss, dass die Bissspuren von einem kleinen Säugetier stammen müssen: “Die Nagespuren ähnelten denen von heutigen insektenfressenden Säugetieren, wie zum Beispiel Spitzmäusen, stark”, sagt Augustin. Demnach muss vor 160 Millionen Jahren ein kleiner Urzeit-Säuger an diesem Knochen geknabbert haben. Damit ist dieser Fund eine echte Rarität: “Direkte Nachweise wie Bissspuren auf Knochen oder ein Mageninhalt sind sehr selten”, sagt Augustin. “Alle bisher bekannten Belege stammten außerdem frühestens aus der Kreidezeit, sie sind maximal etwa 100 Millionen Jahre alt. Daher ist unsere Entdeckung aus der Zeit vor etwa 160 Millionen Jahren so besonders.”
Ältester Beleg fürs Aasfressen
Das Knochenstück, an dem der kleine Urzeit-Säuger damals knabberte, stammt aus der Halsrippe eines Sauropoden – einem pflanzenfressenden, wahrscheinlich rund 20 Meter langen und mehrere Tonnen schweren Dinosaurier. Angesichts der gewaltigen Größenunterschiede der beiden Tiere scheint klar, dass das Säugetier wohl nicht zu Lebzeiten dieser Riesenechse an ihr kaute. Stattdessen gehen die Paläontologen davon aus, dass die Bissspuren erst nach dem Tod des Dinosauriers entstanden. “Die Bissspuren repräsentieren eindeutig aasfressendes Verhalten”, so die Forscher. Sie gehen davon aus, dass das Säugetier sich von den Fleischresten ernährte, die größere Raubtiere am Kadaver übrig gelassen hatten. Die Bissspuren am Knochen entstanden dabei eher zufällig – haben aber nun, 160 Millionen Jahre später – wertvolle Einblicke in die Lebensweise unserer fernen Vorfahren geliefert.
“Die von uns beschriebenen Säugetier-Bissspuren stellen die ältesten direkten Belege für eine fleischfressende Ernährung früher Säugetiere dar”, sagen Augustin und seine Kollegen. “Außerdem repräsentieren sie das älteste Zeugnis des Aasfressens bei dieser Tiergruppe.”
Quelle: Felix Augustin (Universität Tübingen) et al., The Science of Nature, doi: 10.1007/s00114-020-01688-9