Eingehüllt in einen Gallert-Mantel: Das kleine Krebstierchen Holopedium ist nicht wie andere Vertreter des Zooplanktons. Das etwa zwei Millimeter große Wesen schützt sich vor Fressfeinden durch eine wabblige Schicht. Dadurch müssen die Tierchen keinen so kräftigen Panzer entwickeln wie Wasserflöhe, die sogenannten Daphnien, mit denen sie sich den Lebenstraum in den Seen Kanadas teilen. In den letzten 30 Jahren hat Holopedium seine Bestände allerdings auf Kosten der Daphnien in vielen Seen verdoppelt – Tendenz steigend. Das hat drastische Folgen: Die Veränderungen in der Nahrungskette bedrohen die Fischbestände und die glibbrigen Viecher beeinträchtigen zunehmend die Trinkwasserversorgung in Kanada: Sie verstopfen die Filtersysteme.
Andrew Tanentzap von der University of Cambridge und seine Kollegen sind nun der Frage nachgegangen, wie es zu der fortschreitenden „Jellification”, wie sie es nennen, kommen konnte. Durch Datenerfassung der Wasserchemie, Analysen der Biologie der relevanten Wasserorganismen und durch die Untersuchung von Sedimentbohrkernen kamen die Wissenschaftler den Umständen der Erfolgskarriere von Holopedium auf die Spur. Es handelt sich um das Resultat einer interessanten Verkettung von Faktoren, berichten die Forscher.
Ein Beispiel für ökologische Kettenreaktionen
Ihnen zufolge bildete der saure Regen der Industrialisierung die Grundursache. Bestandteile der Abgase von Industrie und Haushalten machten den Regen sauer – vielen wird dies noch als Ursache des Waldsterbens bekannt sein. In den Wasser-Einzugsgebieten der kanadischen Seen führte der saure Niederschlag zu einem starken Rückgang des verfügbaren Kalziums, sagen die Wissenschaftler. Obwohl heute kein saurer Regen mehr fällt, wird diese Folge bleiben, sagen sie, denn das Kalzium ist nun erst einmal futsch und es wird lange dauern, bis sich die Konzentrationen wieder stabilisieren.
Der niedrige Kalziumgehalt des Seewassers wurde zum Kern-Problem für die Daphnien, erklären Tanentzap und seine Kollegen. Sie brauchen diesen Stoff für den Aufbau ihres Außenskeletts. Mangelt es an Kalzium, wird ihr Schutzpanzer dünner, ihre Nahrungsaufnahme ist gestört und damit wird letztlich ihre Vermehrung beeinträchtigt. Was die schwindenden Wasserfloh-Bestände nicht mehr vertilgten, stand dann Holopedium als Extranahrung zur Verfügung. Ihnen macht das geringe Kalziumangebot nichts aus: Sie brauchen vergleichsweise wenig dieses Baustoffes, denn ihre Schutzstrategie basiert ja auf einer Glibberschicht. Diese Faktoren brachten die Holopedium-Bestände zur Blüte, sagen die Forscher.
Der „Jellification” auf der Spur
Durch die Analyse der Sedimentbohrkerne konnten die Forscher auch präzise zeigen, wann die Jellification einsetzte: Bereits seit 1850 ist Holopedium demnach auf dem Siegeszug. Das passt exakt zum Beginn der Industrialisierung, die mit ihren Abgasen den sauren Regen verursachte. “In der Zwischenzeit, hat der saure Regen zwar nachgelassen und der pH-Wert vieler Seen hat sich verbessert, doch die Folgen bleiben”, sagt Tanentzap. „Wir haben viele dieser Seen in einen völlig neuen ökologischen Zustand gebracht. Es kann Tausende von Jahren dauern, bis das Seewasser wieder die historischen Kalziumkonzentrationen erreicht”, so der Forscher.