Kleine Fließgewässer machen rund 70 Prozent des deutschen Gewässernetzes aus, doch bisher wurde ihr Zustand kaum überwacht. Nun zeigt eine deutschlandweite Datensammlung erstmals, dass sich etwa zwei Drittel der untersuchten deutschen Bäche in einem schlechten ökologischen Zustand befinden. Sie überschreiten die Pestizidgrenzwerte, haben eine veränderte Zusammensetzung von wirbellosen Tieren und verlaufen außerdem nicht mehr natürlich. Umweltschützer fordern daher nun effektive Gegenmaßnahmen.
Die im Jahr 2000 verabschiedete EU-Wasserrahmenrichtlinie sieht vor, dass bis spätestens 2027 alle europäischen Flüsse, Seen, Grundwasser und Küstengewässer in einen guten ökologischen Zustand gebracht sein müssen. Obwohl in Deutschland seither zahlreiche Maßnahmen zur ökologischen Gewässersanierung ergriffen wurden, haben bislang nur acht Prozent der deutschen Fließgewässer diese Zielvorgabe erreicht. Es könnten sogar noch weniger sein, denn bislang wurden kleine Fließgewässer mit einem Einzugsgebiet von unter zehn Quadratkilometern bei der systematischen Überwachung oft vernachlässigt. Und das, obwohl sie etwa 70 Prozent des deutschen Gewässernetzes ausmachen.
Deutschlands Bäche auf dem Prüfstand
Forschende um Julia von Gönner vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig haben sich daher nun dem Zustand der deutschen Bäche erstmals ausführlich gewidmet. Unterstützung bekamen sie dabei von über 900 Freiwilligen, die deutschlandweit Daten an 137 Bächen erhoben haben. Sie bewerteten die Gewässerstruktur, maßen die chemische Wasserqualität und untersuchten die wirbellosen Tiere des Gewässergrunds, das sogenannte Makrozoobenthos. Aus den gesammelten Daten ließen sich Pestizidbelastung und ökologischer Zustand der jeweiligen Gewässer ableiten.
Das Ergebnis: Rund zwei Drittel der untersuchten Bäche in Deutschland befinden sich in einem schlechten ökologischen Zustand. In 80 Prozent der beprobten Gewässer lag die Pestizidbelastung deutlich über den staatlichen Grenzwerten, wie die Forschenden berichten. In 60 Prozent jener Bäche, die durch landwirtschaftliche Gebiete verlaufen, hatten die schädlichen Pflanzenschutzmittel sogar bereits die Zusammensetzung der Wirbellosenfauna erheblich gestört. Ebenfalls 60 Prozent der Bäche konnte man den schlechten ökologischen Zustand sogar bereits von außen ansehen, etwa durch verbaute Uferstrukturen oder fehlende Ufervegetation, erklären von Gönner und ihr Team. Auch das beeinträchtigt die Lebensraumqualität der kleinen Gewässer stark.
Reduktion landwirtschaftlicher Pestizide gefordert
Angesichts des schlechten Zustands deutscher Bäche fordert der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) nun effektive Gegenmaßnahmen von der Politik: „Der BUND fordert eine tatkräftige Wiederherstellung gesunder Bäche, sowohl in Hinblick auf ihre Gewässerstruktur als auch in Verhinderung von Schadstoff-Einleitung“, sagt Geschäftsführerin Antje von Broock. „Dies bedeutet auch eine schrittweise Reduzierung der Nutzung von Pestiziden und das Verbot besonders gefährlicher Pestizide. Nur so können wir eine gesunde und lebenswerte Umwelt schaffen. Es ist Zeit für eine Transformation in der Landwirtschaft.“
Die Umweltschutzorganisation fordert die Politik dazu auf, zumindest die Ziele des Europäischen Green Deal zu erfüllen. Dieser sieht unter anderem vor, das Risiko des Pestizideinsatzes bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren. Wie genau Deutschland diese Zielvorgabe erreichen will, ist allerdings noch unbekannt, denn die entsprechende nationale Pestizidreduktionsstrategie wurde noch nicht veröffentlicht.
Quelle: Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), BUND; Fachartikel: Science of The Total Environment, doi: 10.1016/j.scitotenv.2024.171183