Sie wurden fix von kleinen zu großen Räubern: Überraschenderweise wuchsen manche der frühen Vertreter der Landwirbeltiere offenbar ausgesprochen schnell heran. Dies geht aus der Untersuchung der Knochenstrukturen eines urtümlichen Tetrapoden hervor, der vor rund 330 Millionen Jahren auf Beutefang ging. Der Befund stellt damit bisherige Annahmen über die Merkmale unserer entfernten Vorfahren infrage, sagen die Paläontologen.
Die tiefen Verzweigungsstellen im Baum des Lebens stehen oft besonders im Fokus der Forschung. Was die frühe Evolutionsgeschichte der Landwirbeltiere (Tetrapoden) betrifft, richtet sich dabei der Blick auf die Zeit von vor 385 bis 320 Millionen Jahren. Denn man geht davon aus, dass Wesen dieser Ära die Grundlage für die Entwicklung und Diversifizierung der Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere einschließlich des Menschen bildeten. Für Fossilien von frühen Vertreter der Tetrapoden interessieren sich Paläontologen deshalb ganz besonders. Doch sie sind selten und oft gibt es von einer Art nur sehr wenige fossile Spuren. Eine spannende Ausnahme bildet dabei allerdings ein Tier, das ein Team aus US-Paläontologen nun ins Rampenlicht rückt: Von Whatcheeria wurden Hunderte von Knochen mehrerer Individuen unterschiedlicher Größe an einem Fundort im US-Bundesstaat Iowa entdeckt.
Wie wuchsen die frühen Landwirbeltiere?
Diese bis zu etwa zwei Meter langen Raubtiere lebten dort vor etwa 331 bis 326 Millionen Jahren im Bereich eines Sees. “Whatcheeria würde uns heute wohl wie ein großer Salamander mit Krokodil-Merkmalen erscheinen – mit einem schmalen Kopf und vielen Zähnen”, sagt Co-Autor Ben Otoo von der University of Chicago. Die Tiere besaßen außerdem robuste Gliedmaßen, die ihr Gewicht an Land tragen konnten, sie wiesen aber auch noch anatomische Merkmale auf, die auf ein Leben im und am Wasser schließen lassen. Wie die Forscher erklären, handelte es sich um einen sogenannten Stamm-Tetrapoden – einen Vertreter der Gruppe, auf die sich die Entwicklungsgeschichte der heute lebenden Landtiere zurückverfolgen lässt. “Whatcheeria ist einer der am besten vertretenen frühen Tetrapoden im Fossilbericht, und die Fülle des Materials erlaubt es uns, Fragen über seine Biologie zu stellen, die für fast alle seine Zeitgenossen unmöglich sind”, sagt Co-Autor Ken Angielczyk vom Field Museum in Chicago. In der aktuellen Studie sind die Forscher nun der Frage nachgegangen, inwieweit sich Spuren der Wachstumsprozesse bei diesen Tieren in den fossilen Knochen nachweisen lassen.
Grundsätzlich ging man bisher davon aus, dass die frühen Tetrapoden ähnlich wie heutige urtümlich wirkende Vertreter der Wirbeltiere langsam wuchsen und kontinuierlich immer größer wurden. Bei den modernen Tetrapoden werden Jungtiere hingegen meist vergleichsweise schnell groß und hören dann beim Erreichen des adulten Niveaus auf, zu wachsen. Um zu sehen, wie sich Whatcheeria entwickelte, nahmen die Forscher Oberschenkelknochen von Individuen ins Visier, die vom Jungtier bis zur bekannten Maximalgröße reichten. Sie fertigten dazu dünne Knochenscheiben an und untersuchten diese transparenten Strukturen unter dem Mikroskop. Wenn ein Tier wächst, bildet es in jeder Wachstumsperiode neue Knochenschichten, erklärt Otoo. “Indem man untersucht, wie dick die Wachstumsringe im Laufe des Lebens eines Tieres sind, kann man herausfinden, wie das Tier während seines gesamten Lebens gewachsen ist“, so der Paläontologe.
Whatcheeria wurde schnell erwachsen
Wie die Forscher berichten, stießen sie bei der Untersuchung der Whatcheeria- Knochenscheiben auf eine Überraschung: “Ich kann mich gut daran erinnern, wie ich aufgesprungen bin und gesagt habe, dass die Befunde Regeln brechen, die wir für die Entwicklung des Wachstums bei diesen frühen Tetrapoden angenommen hatten”, erinnert sich Erst-Autorin Megan Whitney. Denn es zeichnete sich ab, dass Whatcheeria anfangs offenbar sehr schnell wuchs, was sich dann später abschwächte. Besonders interessant waren dabei Spuren von sogenanntem fibrolamellärem Knochengewebe. Bisher ging man davon aus, dass nur Amnioten (Reptilien, Vögel und Säugetiere) diese Strukturen aufweisen, die mit ihren schnellen Wachstumsmustern einhergehen. Doch offenbar entwickelte sich dieser Knochengewebetyp schon früh in der Entwicklungsgeschichte der Tetrapoden, zeigen die Befunde.
Unklar bleibt allerdings, wie weit verbreitet diese Merkmale bei den Stamm-Tetrapoden waren. Das Wachstumsmuster könnte für die Lebensweise von Whatcheeria auch speziell wichtig gewesen sein: “Wenn man ein großer Spitzenräuber ist, kann es vorteilhaft sein, schnell groß zu werden, da es dann einfacher ist, andere Tiere zu jagen und nicht selbst zur Beute zu werden”, sagt Co-Autorin Stephanie Pierce von der Harvard University in Cambridge. Das Konzept hat aber auch Nachteile: Um schnell groß zu werden, müssen genügend Nahrung und Ressourcen für das wachsende Tier vorhanden sein. In manchen Fällen kann es deshalb günstiger sein, eher langsam und kontinuierlich zu wachsen. Deshalb gibt es bis heute beide Konzepte. “Bei der Evolution geht es darum, verschiedene Lebensweisen und Kombinationen von Merkmalen auszuprobieren”, sagt Angielczyk.
Die Paläontologen wollen nun am Ball bleiben: Sie planen, die Knochenstrukturen weiterer früher Tetrapoden zu untersuchen, um ihre Wachstumsstrategien und deren mögliche Beziehung zu den ökologischen Nischen dieser Tiere aufzudecken.
Quelle: Harvard University, Field Museum, Fachartikel: Communications Biology, doi: 10.1038/s42003-022-04079-0