Im Mai 1993 formulierten dann Skakkebaek und der Reproduktionsbiologe Prof. Richard Sharpe aus Edinburgh in der medizinischen Zeitschrift “Lancet” eine Hypothese zur Erklärung: Die abnehmende Spermiendichte werde möglicherweise durch östrogenartig wirkende Chemikalien auf männliche Embryonen im Mutterleib verursacht. Der durch Umweltgifte erhöhte Östrogenspiegel im mütterlichen Blut soll die Vermehrung der sogenannten Sertoli-Zellen hemmen, die in den Hoden die Spermien reifen lassen.
Doch im vergangenen Jahr häufte sich Kritik an seiner Arbeit. Zunächst widersprach der New Yorker Mediziner Prof. Harry Fisch der These von den abnehmenden Spermienzahlen. Er hatte Anfang 1996 Samenproben von mehr als 1200 Männern aus New York, Minnesota und Los Angeles ausgezählt und war für die drei Städte auf durchschnittliche Werte von 131, 101, und 73 Millionen Spermien pro Milliliter gekommen – in jedem einzelnen Fall weit mehr als Skakkebaek den Männern bescheinigt hatte. Sein Kollege Alvin Paulsen von der Washington-Universität hatte in Seattle von 1972 bis 1993 statt einer Verringerung sogar einen Anstieg der Spermienzahl um zehn Prozent registriert. Damit war die Konfusion perfekt.
Dennoch: Nicht einmal die chemische Industrie erlaubt es sich, die vermehrten Hinweise auf eine sinkende Fruchtbarkeit von Männern, auf eine Zunahme von Tumoren und Mißbildungen der Genitalien sowie von hormonabhängigen Intelligenz- und Verhaltensstörungen auf die leichte Schulter zu nehmen.
Die Verantwortlichen schließen nicht aus, daß die Umweltorganisationen mit ihren Warnungen eine Lücke in der bisherigen Risiko-Bewertung von Chemikalien gezeigt haben. Die Chemie-Verbände in Deutschland (VCI), Europa (CEFIC), Nordamerika (CMA) und Japan (JCIA) Chemie haben deshalb im vergangenen Jahr 11 Millionen Dollar für ein dreijähriges Forschungsprogramm zur Verfügung gestellt, das die strittigen Fragen bis zum Jahr 1999 klären soll.