Was die Hypnose ist, darüber gibt es zwar “bis heute keine absolut befriedigende Theorie”, schreibt der Neurologe und Psychotherapeut Prof. Günter Hole aus Ravensburg in einem Artikel im Deutschen Ärzteblatt. Sicher ist nur, was Hypnose nicht ist: Ein Zustand der willenlosen Bewußtlosigkeit, wie immer noch viele glauben. Messungen der Gehirnaktivität zeigen, daß die Hypnose ein Bewußtseinszustand zwischen Wachen und Schlaf ist. Die Gehirnströme bilden regelmäßige Alpha-Wellen, typisch für ein Gehirn, das gleichzeitig wach und entspannt ist. Diese Rhythmen unterscheiden sich deutlich von den kürzeren Beta-Wellen, die einen oberflächlichen Schlaf anzeigen, und den langen Delta-Wellen des Tiefschlafs. Nur noch ausnahmsweise wird die früher übliche autoritäre Hypnose angewendet, ein Verfahren, bei dem sich der Patient in tiefer Trance einem dominanten Therapeuten ausliefert. In der Psychotherapie kann sie aber manchmal sinnvoll sein, sagt Werner J. Meinhold, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für therapeutische Hypnose und Hypnoseforschung in Pirmasens. “Manche Angstpatienten oder solche mit Zwangsneurosen suchen Hilfe gerade bei dem überlegenen Experten. Es ist leichter für sie, wenn sie sich seinem Willen unterwerfen dürfen, schwach sein, die Kontrolle abgeben dürfen.” In der Regel aber bleibt die Hypnose mehr an der Oberfläche, in der Psychotherapie ebenso wie in der Medizin. Der Patient behält heute die Kontrolle. Er läßt sich mit verschiedenen Techniken in die Trance begleiten, weiß aber jederzeit, was der Arzt oder der Therapeut macht und sagt.
Körperlich und seelisch völlig ruhig beobachtet der Hypnotisierte bewußt, aber gelassen und uninteressiert, wie der Psychotherapeut Fenster in seiner Erinnerung öffnet, traumatische Erlebnisse neu interpretiert, die erinnerte Vergangenheit umgestaltet oder ihm nachhaltig suggeriert, wie gut er etwa reden kann und wie befreiend es ist, allein über eine hohe Brücke zu gehen. Er verfolgt, wie der Zahnarzt die Zange oder das Skalpell ansetzt, aber es ist ihm gleichgültig.
Um ihn in diesen Zustand zu geleiten – die Hypnose zu induzieren – gibt es viele Methoden, die manchmal einzeln, meist aber kombiniert eingesetzt werden. Der Hypnotiseur muß ein guter Menschenkenner und Beobachter sein, um zu registrieren, worauf sein Patient am besten reagiert.
- Das wichtigste Element ist die Sprache. Angenehm klingende Formulierungen, noch und noch wiederholte Binsenwahrheiten, monotone Beschwörungen von Vertrauen und Sicherheit, Halbsätze, die häufig mit “und” eingeleitet werden, erzeugen Entspannung und Wohlgefühl.
- Oft wird auch eine Kassette oder CD verwendet, manchmal mit einer Art beruhigendem Sprechgesang, unterlegt mit Violinen- oder Gitarrenklängen, mal mit Wellenrauschen, Waldgeräuschen oder Bachplätschern.
- Manche Patienten brauchen nur angeregt zu werden, sich bildlich besonders schöne Szenen vorzustellen – einen Saal voller Kerzen oder einen Sonnenuntergang -, um sie in Trance sinken zu lassen.
- Auch Konzentrationsübungen dienen dem Abgleiten in die Hypnose. Dabei schreitet der Patient meist geistig eine Treppe mit zehn Stufen hinab, sehr langsam, zählt dabei bis zehn, kann bei Unterbrechungen auch innehalten, auf Anweisung des Therapeuten zwischendurch sogar ein paar Stufen hinauf- und dann wieder hinabgehen, bis er von der letzten Stufe hinunter in die Trance tritt.
- Der Arzt kann auch hinter dem Patienten stehen, der mit geschlossenen Augen aufrecht sitzt. Er umfaßt mit beiden Händen seinen Hinterkopf und wiegt ihn – permanent redend – ein paar Minuten behutsam in alle Richtungen, wobei die Desorientierung des Gleichgewichtssinnes die Trance auslösen kann.
- Die Fixation ist die klassische Methode. Dabei schaut der Patient auf den Finger des Therapeuten, auf ein Pendel, eine Bleistiftspitze oder eine spezielle Farbtafel, die seine Aufmerksamkeit fesselt.
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Wenn die Trance einsetzt, ist das körperlich meßbar. Puls und Atmung werden langsamer, Blinzel- und Schluckreflexe seltener, der Hautwiderstand sinkt, das Gehirn zeigt die typischen Alpha-Wellen. Der Hypnotisierte kann jetzt seinen Blutdruck und seine Körpertemperatur in Grenzen selbst beeinflussen.
Aber nicht jeder ist hypnotisierbar. Vertrauen in den Arzt ist notwendig und die Fähigkeit, sich zu konzentrieren. Phantasie und bildhaftes Vorstellungsvermögen des Patienten fördern das Abgleiten in die Trance. 10 bis 15 Prozent der Menschen sind – nach übereinstimmender Auskunft vieler Ärzte – resistent, 70 Prozent sind normal, 10 bis 20 Prozent extrem leicht hypnotisierbar.
Weiter auseinander liegen die Ansichten darüber, zu welchen Handlungen ein Mensch in Hypnose veranlaßt werden kann. Dr. Albrecht Schmierer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für zahnärztliche Hypnose in Stuttgart, und Dr. Burkhard Peter, Psychotherapeut in München und Gründungsmitglied der Milton-Erickson-Gesellschaft, betonen, kein Mensch könne gegen seinen Willen zu Taten verleitet werden, die gegen seine Natur sind, etwa eine Bank zu berauben oder sich auf der Bühne nackt auszuziehen. Meinhold widerspricht. Er hält Mißbrauch und Manipulation in tiefer Trance durchaus für möglich. Er gibt aber zu, damit eine Minderheitenmeinung zu vertreten. Für ihn sind auch “die Greueltaten von Menschen im Krieg, die entsetzlichen Massaker im Kosovo, die Schlägereien unter Hooligans im Fußballstadion die Folgen von Massenhypnosen, erzeugt durch Propaganda”, sagt Meinhold.
Jürgen Narott