Ein internationales Forscherteam hat jetzt das Erbgut eines weiblichen Sumatra-Orang-Utans namens Susie vollständig entschlüsselt und mit dem anderer Menschenaffen inklusive des Menschen verglichen. Demnach ist das Genom des Orang-Utans zu 97 Prozent mit dem menschlichen identisch. Es hat sich jedoch im Laufe der Evolution in seiner Struktur weniger stark verändert als das von Mensch und Schimpanse, deren Erbmaterial zu 99 Prozent identisch ist. Die Struktur des Orang-Utan-Erbguts ähnelt daher wohl am ehesten der des gemeinsamen Vorfahren aller Menschenaffen. Zusätzlich untersuchten die Forscher um Devin Locke von der Washington University in Saint Louis das Erbgut von fünf weiteren Orang-Utans aus Sumatra sowie von fünf aus Borneo stammenden Menschenaffen. Ergebnis: Das Erbgut der Tiere von den beiden Inseln unterscheidet sich in einem überraschend geringen Ausmaß, so dass sich ihre Wege erst vor etwa 400.000 Jahren und damit später trennten als angenommen, schreiben die Forscher.
Orang-Utan heißt übersetzt Waldmensch. Diesen Namen tragen die Menschenaffen mit dem rot-braunen Fell nicht zufällig: Sie verbringen mehr als 95 Prozent ihres Lebens in den Bäumen. Die Vorfahren der Orang-Utans lebten in ganz Südostasien, auch auf dem Festland. Heute sind die bedrohten Menschenaffen jedoch nur noch auf den Inseln Sumatra und Borneo zu Hause, wo sich jeweils eine eigene Art gebildet hat. Schätzungen gehen von etwa 7.000 wildlebenden Orang-Utans auf Sumatra und 50.000 auf Borneo aus. Ihre Existenz ist vor allem durch die Abholzung des Regenwaldes bedroht.
Im Vergleich zu dem des Menschen ist das Erbgut der Orang-Utans vielfältiger, schließen die Forscher aus ihren Ergebnissen. “Diese Variabilität ist eine gute Neuigkeit, denn – auf lange Sicht – ermöglicht das den Orang-Utans, einen gesunden Bestand aufrecht zu erhalten”, meint Jeffrey Rogers, der zu dem internationalen Wissenschaftlerteam gehört. Ein Vergleich des Erbguts der Orang-Utans auf Sumatra mit dem der Tiere auf Borneo zeigt außerdem, dass die Sumatra-Orang-Utans ihre Artgenossen auf Borneo in Sachen Erbgutvielfalt übertreffen. “Die größere Variabilität im Erbgut der Sumatra-Orang-Utans kann sehr wichtig für ihre Erhaltung sein. Wir müssen alles tun, was wir können, um die Vielfalt beider Arten zu erhalten”, meint Teammitglied Carolin Kosiol. Sonst gebe es in 30 Jahren keine Orang-Utans mehr in der Wildnis.
Parallel zu den Wissenschaftlern hat auch ein Team um Mikkel Schierup und Thomas Mailund von der dänischen Aarhus-Universität das Orang-Utan-Erbgut analysiert. Die Forscher kommen zu dem Schluss: Auch wenn der Mensch mit dem Orang-Utan nicht so eng verwandt ist wie mit dem Gorilla oder dem Schimpansen, ähneln etwa 0,5 Prozent unseres Erbguts stärker dem des Orang-Utan als dem des Schimpansen. Diese Teile des menschlichen Genoms stammen daher vermutlich direkt vom gemeinsamen Vorfahren der Menschenaffen ab und haben sich über Millionen von Jahren sowohl beim Menschen als auch beim Orang-Utan bewahrt, während sie bei Schimpansen verlorengegangen sind, berichten die Forscher.
Devin Locke (Washington University) et al: Nature, Bd. 469, S. 529 Mikkel Schierup (Aarhus-Universität) et al: Genome Research, Online-Vorabveröffentlichung, doi: 10.1101/gr.114751.110 dapd/wissenschaft.de – Marianne Diehl