In der Corona-Pandemie sollte man bekanntlich besonders die Kontakte mit Mitmenschen meiden, wenn man sich schon krank fühlt. Einer Studie zufolge gibt es dazu eine Parallele bei einem Tier mit „Halloween-Charakter“: Kranke Vampirfledermäuse verbringen weniger Zeit in der Nähe von Artgenossen, zeigen Auswertungen von Abstandsmessern auf dem Rücken von Versuchstieren. Es handelt sich wohl um eine Form von passivem Social Distancing, bei der nicht eine aktive Isolierung stattfindet, sondern die Folgen des Krankseins zu den verminderten Sozialkontakten führen. Dennoch kommt es zu einem Effekt, der die Ausbreitung von Infektionen unter den sozial lebenden Vampirfledermäusen verlangsamen kann, erklären die Forscher.
Durch ihre buchstäblich blutrünstige Ernährungsweise haben sie so manche Gruselgeschichte inspiriert: Die in warmen Regionen Amerikas beheimateten Vampirfledermäuse (Desmodus rotundus) landen Nachts heimlich auf ihren Opfern und lassen sie dann zur Ader. Mit ihren scharfen Zähnen ritzen sie ein Stück der Haut an und lecken dann das austretende Blut. Neben ihrer speziellen Ernährungsweise haben diese Tiere der Nacht einen weiteren interessanten Aspekt zu bieten: Vampirfledermäuse leben in Kolonien mit erstaunlich komplexen Sozialstrukturen. Studien haben gezeigt, dass jedes Tier sein persönliches Netzwerk an Sozialkontakten besitzt. Diese Individuen helfen und pflegen sich untereinander – Vampire bilden offenbar intensive Freundschaftsbeziehungen aus.
Forscher um Simon Ripperger vom Museum für Naturkunde Berlin interessieren sich in diesem Zusammenhang für die Frage, wie Fledermäuse auf Erkrankungen reagieren. Denn es ist bekannt, dass Veränderungen im Sozialverhalten als Reaktion auf einen Erreger die Ausbreitung einer Krankheit in einer Population stark beeinflussen können. Im Rahmen der Covid-19-Pandemie steht dieser Aspekt bei uns Menschen derzeit stark im Fokus. Doch auch bei Tieren kann sich die Ausbreitung von Erregern verändern, wenn sie mit einer Form des Social Distancings auf Infektionen reagieren, wodurch Kontakte zwischen kranken und gesunden Individuen zurückgehen.
Vampire mit Näherungssensoren
In einer früheren Untersuchung haben die Forscher bereits Hinweise darauf gefunden, dass es auch bei kranken Vampirfledermäusen zu einem krankheitsbedingten Abstandhalten kommt. Dabei handelte es sich bisher allerdings um Beobachtungen an in Gefangenschaft gehaltenen Tieren. Nun haben Ripperger und seine Kollegen ein Freilandexperiment durchgeführt, um dem Social Distancing bei den Vampirfledermäusen genauer auf die Spur zu kommen.
Sie fingen dazu 31 Weibchen aus einem hohlen Baum in Belize und simulierten bei der Hälfte dieser Tiere eine bakterielle Infektion: Sie verabreichten ihnen eine Substanz, die für sechs bis zwölf Stunden leichte Krankheitssymptome verursacht. Die Kontrolltiere bekamen hingegen nur eine Salzlösung. Anschließend rüsteten die Forscher alle Versuchstiere mit Näherungssensoren aus. Es handelte sich dabei um Geräte, die leichter als eine Ein-Cent-Münze sind und deshalb von den Tieren wie eine Art Rucksack getragen werden können. Diese Geräte können die Interaktionen zwischen den Fledermäusen einer sozialen Gruppe im Detail erfassen, erklären die Forscher.
Passives Social Distancing
Anhand dieser hochauflösenden Daten identifizierten die Forschenden das dynamische soziale Netzwerk der Fledermäuse, was ihnen erlaubte, Veränderungen in den sozialen Kontakten zwischen kranken und gesunden Tieren nachzuvollziehen. Es zeigte sich: Im Vergleich zu den Kontrollfledermäusen verbrachten kranke Tiere deutlich weniger Zeit mit anderen Gruppenmitgliedern. Sie waren insgesamt weniger an die Gemeinschaft angebunden, wenn man sowohl direkte als auch indirekte Verbindungen in Betracht zieht, ging aus den Auswertungen der Daten hervor. Letztlich bedeutet das: Die Wahrscheinlichkeit sank, dass ein gesundes Tier mit einem kranken in Kontakt kam. Demnach ist offenbar auch bei den Vampirfledermäusen Social Distancing ein einfacher, aber wirkungsvoller Mechanismus, der eine Ausbreitungen von Erregern eindämmen kann, sagen die Forscher.
Doch auf welchen Prinzipien beruht das krankheitsbedingte Abstandhalten bei den Vampirfledermäusen? Wie die Forscher erklären, handelt es sich wohl eher um einen passiven Effekt. Von einer aktiven Form des Social Distancing spricht man, wenn kranke Individuen gezielt gemieden werden oder sich selbst nach einer Ansteckung von anderen entfernen. Bei der passiven Form ist der reduzierte Kontakt eher eine direkte Konsequenz des Krankseins: Kranke sind oft lethargisch, was mit verminderter Mobilität und Aktivität und dadurch mit weniger Sozialkontakten einhergeht. Wie die Forscher berichten, geht aus ihren vorhergehenden Beobachtungen hervor, dass kranke Fledermäuse vor allem weniger in die gegenseitige Fellpflege unter den Tieren eingebunden sind, wodurch weniger Kontakt entsteht. Sie geben zudem weniger Kontaktrufe von sich, die normalerweise Artgenossen herbeirufen, schreiben die Wissenschaftler.
Quelle: Oxford University Press, Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung, Fachartikel: Behavioral Ecology, doi:10.1093/beheco/araa111