Der Star der Geschichte ist ein unscheinbares und eigentlich nicht gerade beliebtes Wesen: die Wachsmotte (Galleria mellonella). Ihren Namen verdankt sie ihrer Lebensweise in Bienenstöcken. Die Motten legen dort ihre Eier ab, aus denen Raupen schlüpfen, die sich unter anderem vom Bienenwachs der Waben ernähren. Bei Imkern sind diese Untermieter nicht gern gesehen, weil sie die Waben der Bienen beschädigen. Doch genau dies führte zu der zufälligen Entdeckung, wie die Forscher um Paolo Bombelli von der University of Cambridge berichten.
Hobby-Imkerei führt zur Entdeckung
Bei einem Mitglied der Forschergruppe handelt es sich um eine Hobby-Imkerin. Um ihre Bienenstöcke von den lästigen Motten zu befreien, sammelte Federica Bertocchini die Raupen und sperrte sie in eine herkömmliche Plastiktüte, um sie später zu entsorgen. Doch dieser Plan ging nicht auf: Wie sie feststellte, hatten die kleinen Racker Löcher in die Tüte genagt und waren entkommen. So stellte sich Bertocchini die Frage: Haben die Raupen sich nur freigebissen – oder fressen sie das Plastik etwa und können es vielleicht sogar verdauen?
Um dies zu klären, führten Bertocchini und ihre Kollegen im Labor Versuche mit den Raupen durch. Sie konfrontierten zunächst rund hundert der kleinen Larven mit einer herkömmlichen Plastiktüte aus dem Supermarkt. Es zeigte sich: Bereits nach 40 Minuten erschienen die ersten Löchlein. Nach zwölf Stunden ergab dann die Auswertung: Die Plastikmasse hatte sich um 92 Milligramm verringert.
Raupen mit geheimnisvollem Wunder-Enzym
Durch anschließende Untersuchungen konnten die Forscher belegen, dass die Raupen das Plastik nicht etwa nur kauen und schlucken: “Wir haben festgestellt, dass die Raupen die Polymerketten aus Polyethylen-Kunststoff tatsächlich brechen können”, sagt Bombelli. Die Analysen zeigten konkret, dass dabei das Polyethylen in Ethylenglykol umwandelt wird, bei dem es sich um ungebundene “Monomer”-Moleküle handelt. Was genau die verantwortliche Substanz ist, bleibt allerdings noch unklar. “Die Raupen produzieren etwas, das die chemische Bindung zerbricht, vielleicht in ihren Speicheldrüsen oder durch symbiotische Bakterien in ihrem Darm”, sagt Bombelli.
Prinzipiell liegt der Grund für die erstaunliche Fähigkeit wohl an dem natürlichen Futter der Insekten: Wachs. Die molekularen Details des biologischen Abbaus von Wachs sind zwar ebenfalls noch weitgehend unklar, doch den Forschern zufolge basiert die Verdauung von Bienenwachs vermutlich auf der Auflösung von chemischen Bindungen, wie sie auch in Polyethylen vorkommen. “Wachs ist wie eine Art natürliches Plastik, das eine chemische Struktur aufweist, die der von Polyethylen ähnelt”, sagt Bertocchini.
Der Suche nach dem verantwortlichen Enzym und den molekularen Abläufen beim Abbau des Polyethylen wollen sich die Forscher nun intensiv widmen. “Wenn ein einziges Enzym für diesen chemischen Prozess verantwortlich ist, sollte seine Reproduktion in großem Maßstab mit biotechnologischen Methoden möglich sein”, sagt Bombelli. “Damit könnte sich aus der aktuellen Entdeckung ein wichtiges Hilfsmittel entwickeln, um die Polyethylen-Plastikabfälle loszuwerden, die weltweit auf Deponien lagern und die Ozeane vermüllen”, so der Wissenschaftler.