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Seen als Patienten betrachtet

Gewässerökologie

Seen als Patienten betrachtet
Giftige Algenblüten gehören zu den verschieden „Gesundheitsproblemen“ von Seen. © Angelina Tittmann, IGB

Ein medizinischer Blickwinkel kann dem Gewässerschutz zugutekommen, sagen Forschende: In ihrer Studie veranschaulichen sie die Probleme der weltweiten Seen sowie deren Lösungsstrategien, indem sie Parallelen zum menschlichen Gesundheitswesen ziehen. Sie zeigen etwa auf, wie auch Seen unter Problemen mit dem Kreislauf, der Atmung und der Ernährung leiden können oder von Infektionen betroffen sind. Um Seen vor solchen „Leiden“ zu schützen oder sie zu heilen, sind ebenfalls Strategien angesagt, die medizinischen Praktiken gleichen, sagen die Wissenschaftler.

Ihre Bedeutung für die Natur und den Menschen ist enorm: Weltweit gibt es 1,4 Millionen Gewässer, die als Seen bezeichnet werden und eine Oberfläche größer als zehn Hektar besitzen. Neben den komplexen Ökosystem-Leistungen spielen viele von ihnen auch eine wichtige Rolle für die Fischerei sowie für die Trinkwasserversorgung und Erholung von Millionen von Menschen. Doch zahlreiche Seen der Welt sind in Gefahr: Durch lokale und globale Trends befinden sich einige bereits in einem sehr schlechten Zustand oder steuern darauf zu.

In ihrer Studie haben die Forschenden um Gesa Weyhenmeyer von der Universität Uppsala Daten des LakeATLAS zu den Seen weltweit ausgewertet, um ein aktuelles Bild von den Zuständen, Entwicklungen und Bedrohungen der Seen der Erde herauszuarbeiten. Das Besondere ist dabei: Sie nutzten für die Beschreibung der Resultate gezielt Begriffe und Ansätze des menschlichen Gesundheitswesens. „Wir wollen dadurch verdeutlichen, dass Seen lebende Systeme sind, die Sauerstoff, sauberes Wasser und eine ausgewogene Energie- und Nährstoffversorgung benötigen. Der Hauptgrund für die Übernahme der Begriffe besteht darin, das Bewusstsein und das Verständnis für die globalen Probleme der Seen-Gesundheit zu erhöhen“, schreiben die Autoren.

Kreislaufprobleme, Infektionen…

Wie sie berichten, sind viele Seen neben „Vergiftungen“ durch Chemikalien und Müll von schweren „Kreislaufproblemen“ betroffen: Damit bezeichnen die Forschenden Beeinträchtigungen, die die Zufuhr und Dynamik von Wasser betreffen. Am schlimmsten sind ihnen zufolge starke Wasserdefizite, weil sie mit zahlreichen Kaskadeneffekten für die Gesundheit der Seen verbunden sind. In ihrer Studie kommen die Forschenden zu der Einschätzung, dass rund 115.000 Seen weltweit doppelt so viel Wasser durch Verdunstung verlieren, wie sie durch direkte Niederschläge erhalten. Wenn Zuflüsse dies nicht mehr kompensieren können, kommt es dann zur Austrocknung. In der Nähe von Seen, die davon betroffen sind, leben 153 Millionen Menschen, berichten die Forschenden.

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Ein ebenfalls weitverbreitetes Gesundheitsproblem der Seen der Welt ist ihnen zufolge „falsche Ernährung“: Störungen im Nährstoffhaushalt eines Sees können in komplexer Weise zu Beeinträchtigungen seiner Ökosystem-Leistungen führen. Durch übermäßige Nährstoffzufuhr kann es etwa zu problematischen Algenblüten kommen. In einigen Fällen kann es sich um giftige Organismen handeln, die neben den ökologischen Schadwirkungen auch die Trinkwassergewinnung gefährden. Die Hauptursache für die überhöhte Nährstoffzufuhr sind dabei häusliche, industrielle und landwirtschaftliche Einträge.

Andererseits kann es durch bestimmte menschenverursachte Effekte auch zu Mangelernährungen kommen, berichten die Forschenden. Dabei können wiederum „Krankheitserreger“ eine Rolle spielen: Ein Beispiel dafür ist die invasive Quaggamuschel, die in viele Seen eingeschleppt wurde. Bei massenhafter Vermehrung kann sie das Seewasser so intensiv filtern, dass der Nährstoffgehalt zu stark sinkt. In einem betroffenen Gewässer können dann Lebewesen wie Fische nicht mehr genügend Nahrung finden und die gesamte Produktivität sinkt auf ein Niveau, das nicht mehr einer optimalen Gewässergesundheit entspricht.

Teils multimorbide Patienten

Ein deutlich häufigeres Gesundheitsproblem vieler Seen ist jedoch „Atemnot“, schreiben die Forschenden: Niedrige Sauerstoffgehalte treten dabei vor allem bei hohen Temperaturen, schwacher Wasserzirkulation und hoher Biomasseproduktion auf. Der Mangel kann die Entwicklung von Kleinlebewesen und Fischen stark beeinträchtigen oder sogar zu ihrem Ersticken führen. Weltweit sind immer mehr Seen von einer solch kritischen Sauerstoffarmut betroffen, verdeutlichen die Auswertungen der Forschenden. Ihnen zufolge kann dabei auch der Klimawandel eine erhebliche Rolle spielen: Denn sogar Seen mit guter Wasserqualität können zunehmend in „Atemnot“ geraten, weil mildere Winter zu einer unvollständigen Durchmischung des Seewassers führen.

Viele Seen haben auch gleich mit mehreren Gesundheitsproblemen gleichzeitig zu kämpfen. Man kann sie somit als “multimorbid” bezeichnen – analog zum Menschen, sagen die Forschenden. An medizinischen Vorbildern kann sich ihnen zufolge auch ein systematisches Bewertungskonzept des Gesundheitszustands orientieren. „Wir schlagen zum Beispiel eine Einteilung in einem mehrstufigen System von kritisch bis exzellent anhand definierter Vitalfunktionen vor“, sagt Weyhenmeyer. Für den Schutz und die Behandlung bedrohter Seen bieten sich dann ebenfalls die Strategien der menschlichen Gesundheitsversorgung an, sagen die Forschenden: Prophylaxe, regelmäßiges Screening, Behandlung und Schadensbegrenzung.

Abschließend sagt Co-Autor Hans-Peter Grossart vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin: „Wenn die Gesundheitsprobleme der Seen unbehandelt bleiben, stehen wichtige Ökosystem-Leistungen nicht mehr oder nur noch teilweise zur Verfügung, was das Wohlergehen von Millionen von Menschen gefährdet. Wir empfehlen daher koordinierte, sektorenübergreifende und multidisziplinäre Präventions- und Behandlungsstrategien“.

Quelle: Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, Fachartikel: Earth’s Future, doi: 10.1029/2023EF004387

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