Ein weiteres Risiko durch den geplanten Rohstoffabbau am Meeresboden wird deutlich: Schwebstoff-Schwaden aus aufgewirbeltem oder von Schiffen wieder freigesetztem Sediment könnten die Tiefsee-Ökosysteme in der Freiwasserzone schädigen. Dies legen Experimente an Bewohnern dieses Lebensraums nahe: Tiefseequallen werden demnach durch die Sediment-Partikel erheblich gestresst. Weitere Untersuchungen sollten nun klären, ob dies auch für andere Organismen gilt und inwieweit sich Sediment-Belastungen beim Tiefseebergbau verhindern lassen, sagen die Forscher.
Heiß begehrte Rohstoffe schlummern in der Tiefe: In manchen Ozeanbereichen befinden sich am Grund sogenannte Manganknollen und weitere Ablagerungen, die wertvolle Metalle enthalten. Einige Länder und Bergbauunternehmen planen deshalb, sich diese speziellen Lagerstätten zu erschließen. Doch bisher wird noch intensiv über die Zulassungen und das Ausmaß des geplanten Tiefseebergbaus diskutiert. Dabei bildet der Umweltschutz einen wichtigen Aspekt, denn auch beim Tiefseegrund handelt es sich um einen Lebensraum, der einen Bestandteil des komplexen Systems des marinen Lebens bildet.
Sorgenvoller Blick auf die Freiwasserzone
Bisher stand meist der direkt betroffene Meeresgrund im Fokus der Aufmerksamkeit. Doch im Rahmen ihrer Studie haben die Forscher um Vanessa Stenvers vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel einen Aspekt untersucht, der auch die Freiwasserzone betrifft: Schwebstoff-Wolken – sogenannte Plumes, die durch den Tiefseebergbau verursacht werden, könnten die empfindlichen Lebewesen in diesem Pelagial genannten Lebensraum beeinträchtigen. „Das Pelagial ist von entscheidender Bedeutung für die Fähigkeit des Ozeans, Kohlenstoff zu speichern. Seine Bewohner sind auch die Hauptnahrungsquelle für viele Fische, Tintenfische und Meeressäuger und stellen daher ein wichtiges Glied im marinen Nahrungsnetz dar“, betont Stenvers.
Es würde vor allem dann zu einer Belastung durch Schwebstoffe kommen, wenn vom Meeresboden hochgepumptes Sediment von den Abbau-Schiffen wieder in die Wassersäule zurückgeführt wird. Denn dann könnten sich langlebige Sediment-Wolken über Dutzende bis Hunderte von Kilometern in der Zone zwischen 200 und etwa 4000 Metern Wassertiefe ausbreiten. Da sich im Pelagial normalerweise kaum Sediment befindet, ist zu befürchten, dass die dortigen Lebewesen empfindlich auf die Veränderung reagieren. „Sie haben sich unter weitaus stabileren Bedingungen entwickelt als die an der Oberfläche lebenden Tiere und sind daher potenziell anfälliger für sich ändernde Umweltbedingungen“, sagt Stenvers.
Um erste Hinweise darauf zu bekommen, wie sich Sediment-Belastungen auf Bewohner der Tiefsee-Freiwasserzone auswirken, haben die Forschenden nun Untersuchungen an Helmquallen durchgeführt. Sie setzten diese Tiefsee-Bewohner dabei experimentellen Schwebstoff-Belastungen aus, wie sie im Rahmen des marinen Bergbaus entstehen könnten und untersuchten die Reaktionen der Tiere. „Da die Bestimmung von Stress bei einer Qualle nicht einfach ist, haben wir ihre Reaktion aus verschiedenen Blickwinkeln untersucht und die Erkenntnisse aus ihrer Physiologie, der Änderung in der Genaktivität und den mikrobiellen Symbionten auf der Außenseite der Qualle kombiniert“, sagt Stenvers.
Kraftzehrender Stress
Wie das Team berichtet, war der deutlichste Effekt eine vermehrte Schleimproduktion, die auf die Haftung der Sediment-Partikel an den Quallen zurückzuführen ist. Dies erscheint problematisch, erklärt Stenvers: „Die Schleimproduktion benötigt viel Energie und kann einen erheblichen Teil des gesamten Energiehaushalts eines Tieres ausmachen“. Dass die Sediment-Belastung Stress bei den Quallen auslöste, spiegelte sich außerdem in der erhöhten Aktivität von bestimmten Genen wider, die mit der Atmung, dem Immunsystem und der Wundheilung zusammenhängen, berichten die Forscher.
Das Team testete im Rahmen der Studie auch die Wirkung einer Erhöhung der Wassertemperatur um bis zu vier Grad Celsius, zu der die Klimaerwärmung im Extremfall im Lebensraum der Quallen führen könnte. Auch dabei stellten sie zwar Anzeichen für erhöhten Stress bei den Tieren fest, doch die Belastung durch die Schwebstoffe war deutlich intensiver. Dem Team zufolge könnten die Partikel-Wolken zu einem erhöhten Energieverbrauch führen, den diese Meerestiere möglicherweise nicht durch zusätzliche Nahrungsaufnahme kompensieren können. Letztlich könnte dies sogar zu ihrem Verhungern führen.
Die festgestellte Empfindlichkeit der Helmqualle könnte dabei zumindest für andere Gallerttiere repräsentativ sein, sagen die Wissenschaftler. Ihnen zufolge sollten deshalb nun weitere Untersuchungen an verschiedenen Tiefseearten folgen. So wären bessere Einschätzungen der vielleicht komplexen Auswirkungen des marinen Bergbaus auf die Lebenswelt der Tiefsee möglich. Dies könnte dann wiederum zur Entwicklung von Schutzvorschriften oder Bergbaustrategien führen, die die Umweltschäden so gering wie möglich halten, hoffen die Forscher.
Quelle: GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, Fachartikel: Nature Communications. doi: 10.1038/s41467-023-43023-6