Während der Schwangerschaft stellen einige Frauen fest, dass sich ihr Geruchssinn verändert. An Mäusen haben Forschende nun eine mögliche Erklärung dafür gefunden. Demnach werden während der Trächtigkeit ruhende Stammzellen im Gehirn aktiviert und bilden neue Nervenzellen, die rechtzeitig vor der Geburt des Nachwuchses in den Riechkolben wandern. Den Mäusen ermöglicht das, ihre eigenen Jungen am Geruch zu erkennen. Ähnliche Prozesse könnten auch beim Menschen ablaufen.
Während der Schwangerschaft werden im Körper der Mutter verschiedene Hormone ausgeschüttet, die Körper und Gehirn auf die Geburt und die kommende Mutterrolle vorbereiten. Das Becken lockert sich, die Milchproduktion wird angeregt und auch im Gehirn finden Veränderungen statt. Frühere Studien haben bereits gezeigt, dass die Schwangerschaftshormone bei Menschen und Tieren elterliches Verhalten fördern und die Bindung an den Nachwuchs unterstützen. Auch in Bezug auf ihre Sinneswahrnehmungen berichten einige Frauen von Veränderungen: Manche entwickeln während der Schwangerschaft Vorlieben für Nahrungsmittel, die sie zuvor nicht mochten, und einige stellen fest, dass sie Gerüche anders wahrnehmen als vor der Schwangerschaft.
Ruhende Stammzellen aktiviert
Diesem Phänomen ist ein Team um Zayna Chaker von der Universität Basel nun auf den Grund gegangen. Dazu untersuchten sie, wie sich bei trächtigen Mäusen die Nervenzellen im Gehirn verändern. Einen Fokus legte das Team auf die sogenannte ventrikulär-subventrikuläre Zone, einen Bereich des Gehirns, in dem sich aus Stammzellen neue Nervenzellen bilden können, die in den Riechkolben wandern. Außerhalb der Schwangerschaft befinden sich viele dieser Stammzellen allerdings in einem Ruhezustand.
„Unsere Untersuchungen zeigen, dass mehrere regional unterschiedliche neuronale Stammzellen, darunter auch solche, die normalerweise ruhen, an verschiedenen Tagen während der Schwangerschaft rekrutiert werden“, berichtet das Team. Die aus diesen Stammzellen heranreifenden Nervenzellen wandern in den Riechkolben. „Das Timing ist sehr präzise“, erklärt Chakers Kollegin Fiona Doetsch. „Die neuen Neuronen sind pünktlich zur Geburt parat.“
Erkennung des eigenen Nachwuchses
Sobald die Jungen auf der Welt sind, kann die Mäusemutter sie dank der zusätzlichen Riech-Neuronen zuverlässig am Geruch erkennen und von fremden Jungtieren unterscheiden. Mäuseweibchen ohne eigenen Nachwuchs waren dagegen in Verhaltensexperimenten nicht dazu in der Lage, den Nachwuchs unterschiedlicher Muttertiere geruchlich zu unterscheiden. „Die in der Schwangerschaft entstandenen Neuronen werden jedoch nur vorübergehend benötigt und wieder beseitigt, wenn der Nachwuchs älter und selbstständig ist“, sagt Doetsch. Zwischen dem 20. und 30. Tag nach der Geburt, wenn die Jungen entwöhnt sind, bilden sich auch die spezifischen Riechzellen wieder zurück.
Um herauszufinden, ob die Riechzellen durch die Anwesenheit der Jungtiere beeinflusst werden, nahmen die Forschenden einigen Mäusemüttern ihre Babys bereits einen Tag nach der Geburt weg. Tatsächlich waren bei diesen Mäusen die spezifisch auf die Jungtiere eingestellten Nervenzellen bereits nach sechs Tagen aus dem Riechkolben verschwunden. Legten die Forschenden dagegen immer wieder neue neugeborene Mäusebabys zu einer Mäusemutter, behielt sie die spezifischen Nervenzellen im Riechkolben deutlich länger und erkannte auch ihre Adoptivkinder am Geruch.
Auch beim Menschen?
Auch wenn bei Menschen der Geruch eine deutlich geringere Rolle bei der Erkennung des Nachwuchses spielt, vermutet das Forschungsteam, dass bei werdenden Müttern ähnliche Mechanismen im Gang sind. „Einige Frauen berichten über Veränderungen des Geruchssinns während der Schwangerschaft“, sagt Chaker. „Beim Menschen könnte es daher ähnlich sein.“ In dem entsprechenden Hirnareal beim Menschen finden sich ebenfalls Stammzellen, die Nervenzellen für den Riechkolben ausbilden können – zumindest bis zum frühen Säuglingsalter. Danach sind die Stammzellen bisherigen Erkenntnissen zufolge inaktiv.
„Wie bei den Mäusen beobachtet, wäre es aber auch hier denkbar, dass die Schwangerschaft die Stammzellen aus ihrem Schlafzustand weckt“, so Chaker. Für andere Bereiche des Gehirns ist bereits bekannt, dass die Neubildung von Nervenzellen aus neuronalen Stammzellen an Lernprozessen beteiligt ist und einen Einfluss auf unser Gedächtnis hat. In einem begleitenden Kommentar zur Studie, der ebenfalls in der Fachzeitschrift Science erschienen ist, schreibt Gerd Kempermann vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Dresden, der nicht an der Studie beteiligt war: „Die neuen Daten belegen überzeugend, dass die Neubildung von Nervenzellen im Riechkolben bei erwachsenen Individuen zu einer wichtigen Gehirnfunktion beiträgt, die über Lernen und Gedächtnis hinausgeht.“
Quelle: Zayna Chaker (Universität Basel, Schweiz) et al., Science, doi: 10.1126/science.abo5199