Schlangen haben die Lauerjagd perfektioniert: Sie können lange völlig bewegungslos im Unterholz, im Gras oder Laub liegen. Doch kommt dann ein nichtsahnendes Nagetier oder ein anderer Kleinsäuger in ihre Nähe, schlägt sie zu. Die Geschwindigkeit, mit der Schlangen dabei vorschießen, ihr Maul aufreißen und die Beute beißen, fasziniert Biologen schon seit fast 200 Jahren. “Damit der Biss erfolgreich ist, muss die Schlange ihre Beute erwischen, bevor diese flüchten kann oder aber einen Feind verletzen, bevor dieser ihr schaden kann”, erklären David Penning und seine Kollegen von der University of Louisiana in Lafayette. Aus Beobachtungen früher Forscher entstand dabei die Annahme, dass Giftschlangen aus der Gruppe der Vipern besonders schnell zustoßen. Sie gelten daher als die schnellsten Beißer im Schlangenreich. Doch das tatsächliche Bisstempo wurde bisher bei nur sehr wenigen Schlangen gemessen.
Penning und seine Kollegen haben dies nun mit Hilfe von Hochgeschwindigkeits-Aufnahmen bei drei verschiedenen Schlangenarten untersucht: mit ungiftigen Erdnattern (Pantherophis Obsoletus), den zu den Vipern gehörenden Wasser-Mokassinottern (Agkistrodon piscivorus) und mit Texas-Klapperschlangen (Crotalus atrox). Für ihr Experiment setzten die Forscher die Schlange in eine mit einer Highspeed-Kamera präparierte Arena. Nachdem sich die Schlange eingewöhnt hatte, näherten sie sich ihr mit einem ausgestopften Lederhandschuh als Feind- oder Beute-Imitation. Als Reaktion auf diese Bedrohung biss die Schlange zu und ihre Geschwindigkeit, die Beschleunigung und die Dauer des Vorstoßens und Beißens wurden aufgezeichnet.
Schneller als ein Säugetier
Dabei zeigte sich: Entgegen bisherigen Annahmen waren Geschwindigkeit und Beschleunigung bei den ungiftigen Erdnattern genauso hoch wie bei den giftigen Vipern, wie die Forscher berichten. Im Durchschnitt erreichten die Schlangen ein Tempo von 2,1 bis 3,5 Meter pro Sekunde (m/s) und eine Beschleunigung von zwischen 98 und 279 Meter pro Sekunde im Quadrat (m/s2). “Damit sind die Beschleunigungen bei allen drei Arten beeindruckend hoch”, so Penning und seine Kollegen. “Piloten verlieren schon bei 20 bis 23 Prozent dieser Beschleunigung das Bewusstsein, wenn sie keinen speziellen Schutzanzug tragen.” Der Grund dafür: Der plötzliche Tempowechsel von Ruhe in schnelle Bewegung sorgt für Blutleere im Gehirn. Die Schlangen verhindern dies jedoch, indem sie ihre Bewegung extrem kurz halten: Ein Vorstoß und Biss dauert weniger als 84 Millisekunden. Das ist so kurz, dass das nur träge reagierende Blut gar keine Zeit hat, aus dem Kopf zu strömen, wie die Forscher erklären.
Ein weiterer Vorteil des hohen Bisstempos: “Sowohl harmlose wie giftige Schlangen erreichen ihre Beute in rund 50 bis 90 Millisekunden – das ist schneller als die meisten Säugetiere reagieren können”, so die Wissenschaftler. Werden Säugetiere überrascht, dauert es meist 60 bis 395 Millisekunden, bis ihre Muskeln reagieren und sie in Bewegung kommen. Selbst Kleinsäuger, die häufig von Schlangen gejagt werden, sind daher meist nicht schnell genug. So waren die höchsten gemessenen Beschleunigungen der Schlangenbisse um das rund Zehnfache höher als beim Sprung eines Eselhasen (Lepus califonicus) und rund dreimal so schnell wie der Sprung einer Kängururatte. Zum Vergleich: Das Blinzeln des menschlichen Auges dauert rund 200 Millisekunden – und ist damit ebenfalls um ein vielfaches langsamer als der Vorstoß der Schlangen.