Neue Arten entstehen üblicherweise dadurch, dass sich eine bestehende Art aufspaltet. Doch in seltenen Fällen führt auch die Kreuzung zweier Arten dazu, dass sich die Nachkommen zu einer eigenständigen Art entwickeln. Einen solchen Fall haben Forschende nun bei Schmetterlingen im Amazonasgebiet identifiziert. Genanalysen zeigen, dass die Schmetterlingsart Heliconius elevatus ein Hybrid der Arten Heliconius pardalinus und Heliconius melponere ist. Doch obwohl sie seit mindestens 180.000 mit ihren Elternarten Seite an Seite lebt, hat sie sich als eigene, abgegrenzte Art etabliert. Die Entdeckung wirft ein neues Licht auf die Mechanismen der Artbildung und auf den Artbegriff selbst.
Geht es um die Entstehung der Arten, kommt oft das Bild eines Lebensbaums ins Spiel. Die Äste in diesem Modell verzweigen sich im Laufe der Evolution, wobei neue Arten Abzweigungen von bestehenden darstellen. Von einer eigenständigen Art spricht man in der Regel, wenn sich die Individuen einer Spezies nur miteinander fortpflanzen können, während sie mit Angehörigen anderer Spezies keine zeugungsfähigen Nachkommen haben können. Bekannte Hybride wie die Nachkommen von Pferd und Esel sind aufgrund zu großer genetischer Unterschiede der Elterntiere steril. In manchen Fällen können bei der artübergreifenden Kreuzung jedoch tatsächlich fortpflanzungsfähige Individuen entstehen, die das Potenzial haben, sich zu einer neuen Art weiterzuentwickeln. Im Bild des Lebensbaumes würde das bedeuten, dass die Spitzen zweier Äste zusammenwachsen und zugleich eigenständig bestehen bleiben.
Hybridart lebt gemeinsam mit Elternspezies
Einen solchen Fall hat nun ein Team um Neil Rosser von der Harvard University in Cambridge bei Schmetterlingen nachgewiesen. Genetische Analysen und Kreuzungsexperimente zeigen, dass die Art Heliconius elevatus ein Hybrid der Arten Heliconius pardalinus und Heliconius melpone ist. Alle drei Arten leben im gleichen Verbreitungsgebiet im Amazonasregenwald.
„Hybride Spezies sind zwar nicht so ungewöhnlich, aber überzeugende Beispiele für hybride Tierarten sind wirklich schwer zu finden“, erklärt Co-Autor Kanchon Dasmahapatra von der University of York in Großbritannien. „Bei den wenigen Beispielen, die es gibt, haben die vermeintlichen Hybridarten entweder nur wenige Generationen lang existiert und sind möglicherweise kurzlebig oder die Hybridart lebt nicht neben ihrer Elternart, sodass es schwierig ist festzustellen, ob es sich tatsächlich um eine neue Art handelt.“
Genetische Vermischung
Die Schmetterlinge der Art H. elevatus dagegen sind bereits vor mindestens 180.000 Jahren entstanden und entwickeln sich seither als eigene Spezies neben ihren Elternarten. Da sie unterschiedliche Präferenzen bei der Partnerwahl und andere Sexualpheromone haben als ihre Elternarten, pflanzen sie sich üblicherweise nur untereinander fort. Die genetischen Analysen legen nahe, dass auch nach der Entstehung von H. elevatus als eigene Art gelegentlich noch Gene der Elternart H. pardalinus in ihr Erbgut gelangt sind, sich also manche Individuen offenbar doch artübergreifend fortgepflanzt haben.
Obwohl H. elevatus dadurch eine größere genetische Ähnlichkeit zu H. pardalinus aufweist, stammen wichtige Schlüsselgene von der anderen Elternart, H. melpomene. „Die Teile des Genoms, die bei H. elevatus wichtige Merkmale wie Farbmuster, Flügelform, Partnerwahl und die Vorliebe für bestimmte Pflanzen steuern, stimmen tendenziell mit Regionen des Genoms von H. melpomene überein“, sagt Rossen. „Dieser Befund ist der Schlüssel zum Nachweis, dass Heliconius elevatus eine hybride Art ist, da er stark darauf hindeutet, dass die Hybridisierung dazu geführt hat, dass der Schmetterling andere Merkmale als seine Eltern hat und sich deshalb üblicherweise nicht mit ihnen fortpflanzt.“
Durchlässige Artgrenzen
Die Ergebnisse stellen die gängigen Konzepte zur reproduktiven Isolation als Definitionsmerkmal von Arten in Frage. „Viele Arten sind keine intakten Einheiten“, sagt Rosser. „Die Artgrenzen sind oft durchlässig und ermöglichen den Austausch genetischen Materials zwischen verschiedenen Spezies.“ Gerade angesichts der durch menschliche Eingriffe bedingten Umweltveränderungen, die zahlreiche Arten gefährden, gewinnt die Entstehung neuer Arten durch Hybridisierung womöglich an Bedeutung. „Da sich das Verbreitungsgebiet von Arten aufgrund menschlicher Eingriffe und des Klimawandels rasch verändert, werden die Möglichkeiten zur Hybridisierung oder Vermischung zwischen Arten wahrscheinlich zunehmen“, sagt Dasmahapatra. „Das könnte in Zukunft zur Bildung neuer Hybridarten führen.“
Quelle: Neil Rossen (Harvard University, Cambridge, MA, USA) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-024-07263-w