Der Mensch tut es und auch Schimpansen und Bonobos tun es: Sie nutzen Gesten, um sich zu verständigen. Forscher haben nun das gestische Repertoire der beiden eng verwandten Menschenaffen-Arten untersucht – und Erstaunliches festgestellt. Demnach überschneiden sich die Gesten von Bonobos und Schimpansen nicht nur in ihrer Form, sondern auch in Sachen Bedeutung. Kurzum: Die Primaten könnten einander problemlos verstehen.
Schimpansen und Bonobos sind unsere engsten noch lebenden Verwandten – und sie sind uns in vielem verblüffend ähnlich. Die Menschenaffen teilen ihr Futter mit Freunden, helfen sich gegenseitig, belohnen Gefälligkeiten und lassen sich vom Gähnen anderer anstecken. Zudem haben die sozialen Tiere einen entscheidenden Aspekt des Kommunikationsverhaltens mit dem Menschen gemein: Sie nutzen Gesten, um sich zu verständigen. Forscher wissen inzwischen, dass symbolische Bewegungen bei einer Vielzahl von sozialen Interaktionen der Primaten eine entscheidende Rolle spielen. So koordinieren Schimpansen mithilfe von Gesten beispielsweise die Fellpflege oder laden Artgenossen zum Sex ein. Bonobos nutzen zwar ein ganz ähnliches gestisches Repertoire – ob die Gesten für sie jedoch das Gleiche bedeuten wie für die Schimpansen, war bisher nicht bekannt. Kurzum: Könnten sich die im Evolutionsstammbaum seit ein bis zwei Millionen Jahren voneinander getrennten Arten theoretisch verstehen?
Welche Geste bedeutet was?
Dieser Frage sind nun Kirsty Graham von der University of St Andrews und ihre Kollegen nachgegangen. Für ihre Studie beobachteten die Wissenschaftler das Verhalten von wildlebenden Bonobos und versuchten die Bedeutung der von den Menschenaffen genutzten Gesten zu identifizieren. Zu diesem Zweck untersuchten sie, welche Reaktionen eine bestimmte Geste hervorruft – und ob der Gestikulierende mit dem Ergebnis zufrieden zu sein scheint. Ein Beispiel: Ein Bonobo steht einem Artgenossen gegenüber und hebt seinen Arm. Als Folge klettert der angesprochene Affe auf den Rücken des ersten Bonobos. Dieser hört dann auf zu gestikulieren, die Reaktion des Artgenossen scheint demnach richtig gewesen zu sein. Das Team schließt daraus, dass diese Geste “Kletter auf mich drauf” bedeutet. Nach unzähligen Beobachtungseinheiten gelang es den Forschern auf diese Weise, 33 unterschiedlichen Arten von Bonobo-Gesten eine oder mehrere Bedeutungen zuzuschreiben.
Es folgte ein systematischer Vergleich mit den bereits bekannten Schimpansen-Gesten. Das Ergebnis: Die Gesten der beiden Menschenaffen überschneiden sich nicht nur zu rund 90 Prozent in ihrer Form. Ein Großteil der Gesten scheint tatsächlich auch dieselbe Bedeutung zu haben. Wie Graham und ihre Kollegen berichten, ist diese Überschneidung frappierend und signifikant größer als sich durch reinen Zufall erklären ließe. Das bedeutet: Bonobos und Schimpansen könnten sich im Prinzip erfolgreich mithilfe von Gesten verständigen. “Die semantische Ähnlichkeit der Gesten von Bonobos und Schimpansen deutet darauf hin, dass sie womöglich ein biologisches Erbe sind”, konstatiert Graham. Demnach könnte sogar schon der letzte gemeinsame Vorfahre von Bonobo, Schimpanse und Mensch diese Gesten gekannt haben. “Wir wollen deshalb nun untersuchen, ob Menschen Gesten mit den beiden Spezies gemein haben – und ob sie die Menschenaffen verstehen können”, schließt Graham.
Quelle: Kirsty Graham (University of St Andrews, UK) et al., PLOS Biology, doi: 10.1371/journal.pbio.2004825