Von wegen ähnlich: Zwar ähneln sich Schafe und Ziegen genetisch, in ihrem Körperbau sowie in der sozialen Struktur. Doch nicht, wenn es darum geht, sich auf neue Situationen einzulassen. Dabei haben Ziegen die Nase vorn, wie Experimente jetzt belegen. Demnach sind Ziegen deutlich besser darin, alternative Routen zu ihrem Futter zu erkennen und sich anzupassen. Das könnte ein Hinweis auf eine höhere mentale Flexibilität der Ziegen sein.
Schafe und Ziegen haben viel gemeinsam: Sie sind genetisch gesehen enge Verwandte, etwa gleich groß und besitzen oft Hörner. Außerdem leben sie in Herden mit hierarchischen Sozialstrukturen, bei denen die Männchen sich in Kämpfen herausfordern. Zusätzlich dienen uns Schafe wie Ziegen als Nutztiere. Doch in der Nahrungssuche unterscheiden sie sich: Schafe sind eher Weidetiere, Ziegen streifen hingegen umher und suchen bevorzugt nach Knospen und frischen Trieben.
Wer ist eher beim Futter?
Aber wer kann sich besser auf veränderte Umweltbedingungen einstellen? Das haben nun Wissenschaftler um Camille Raoult von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg untersucht. Dabei interessierte sie besonders, wie Ziegen und Schafe auf Hindernisse reagieren, die ihnen den Weg zum Futter versperren. “Die Fähigkeit, auf eine sich verändernde Umwelt zu reagieren, ist lebenswichtig, denn so können Tiere neue Nahrungsquellen erschließen”, erklärt Christian Nawroth von der Queen Mary University of London. In ihrem Experiment führte das Forscherteam jeweils eines von insgesamt 21 Ziegen und 28 Schafen an das Ende eines kleinen Geheges. Am anderen Ende wurde dem Tier Futter angeboten. Dazwischen war ein Zaun mit einer Lücke, sodass der direkte Weg zum Futter versperrt war.
Die Forscher beobachteten das Verhalten der Tiere und notierten unter anderem, wie lange sie bis zum Entdecken und Nutzen der Lücke benötigten. Nach ein bis vier Durchläufen wurde die Position der Lücke im Zaun verändert und der Versuch mehrere Male wiederholt. Das Ergebnis: Die Ziegen waren den Schafen in dem Experiment voraus. Die erste Lücke fanden sie deutlich schneller und nach weniger Versuchen als die Schafe. „Beide Spezies waren in der Lage, die einfache räumliche Umleitungsaufgabe zu lösen, aber 40 Prozent der Schafe gingen nicht direkt zu der sichtbaren Lücke im ersten Versuch“, so die Forscher. Hatten sie es einmal verstanden, waren die Schafe jedoch im Durchschnitt schneller an Ziel als die Ziegen.
Flexiblere Reaktion auf sich verändernde Umstände
Nachdem das Team wechselte die Position der Lücke im Testgehege verändert hatte, waren Ziegen wie Schafe zunächst irritiert. Alle brauchten mehrere Versuche, um sich auf die neue Situation umzustellen. Jedoch zeigte sich, dass die Ziegen hierfür durchschnittlich nur zwei Versuche benötigten, während sich die Schafe meist erst beim vierten Versuch an den Positionswechsel gewöhnt hatten. In den letzten beiden Durchläufen nach dem Positionswechsel waren die Schafe schließlich wieder im Durchschnitt schneller als die Ziegen. “Ziegen können sich offensichtlich besser und genauer auf neue Situationen einstellen und die korrekte Richtung einschlagen, um das Hindernis zu umlaufen“, sagt Co-Autorin Britta Osthaus von der Canterbury Christ Church University. „Das spricht dafür, dass sie mental flexibler als Schafe sind.”
Ein möglicher Grund für die Unterschiede könnten die verschiedenen Strategien bei der Nahrungssuche sein, bei der Ziegen deutlich flexibler und ausdauernder sind. „Ziegen sind auf unregelmäßig verteilte Nahrungsquellen angewiesen, die weniger vorhersehbar sind als die gleichmäßiger verteilten Nahrungsquellen, die Schafe bevorzugen“, erklären Nawroth und seine Kollegen. Vermutlich sind die Schafe deshalb beim Fressen auch mehr an ihre Artgenossen gebunden als die Ziegen, die bei der Nahrungssuche häufiger einen gewissen Abstand zur Gruppe halten. Dass die Schafe trotzdem insgesamt schneller waren, könnte ein Hinweis auf ihre höhere Motivation und Erregbarkeit sein, spekuliert das Forscherteam abschließend.
Quelle: Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Fachartikel: Royal Society Open Science, doi: 10.1098/rsos.201627