Normalerweise ist Licht nötig – Sauerstoff wird von den Photosynthese betreibenden Organismen der Erde gebildet. Doch nun berichten Forscher über eine spannende Ausnahme: Bestimmte Mikroben können in finsteren Meeresbereichen Sauerstoff herstellen, um sich selbst mit dem Lebenselixier zu versorgen. Da diese Ammoniak-oxidierenden Vertreter der Archaeen sehr häufig in den Ozeanen vorkommen, könnte der Stoffwechselweg eine Bedeutung für den marinen Stickstoffkreislauf haben, sagen die Wissenschaftler. Wie genau die Einzeller den Sauerstoff herstellen, muss allerdings noch aufgeklärt werden.
Der berühmte Prozess der Photosynthese bildet in doppelter Hinsicht die Grundlage des Lebens auf unserem Planeten: Pflanzen, Algen und Cyanobakterien erzeugen mithilfe des Lichts die Energieträger an der Basis der Nahrungsketten. Dabei setzen die Photosynthese betreibenden Organismen außerdem Sauerstoff frei, der wiederum Tieren und vielen Mikroorganismen als Oxidationsmittel für ihren Energiestoffwechsel dient. Es war zwar bereits bekannt, dass einige Mikroben Sauerstoff auch ohne Sonnenlicht herstellen können, aber bisher galten diese Wesen als seltene Ausnahmen: Sie wurden nur in begrenzten Mengen und in sehr speziellen Lebensräumen entdeckt.
Im Visier der Forscher um Beate Kraft von der Universität Süddänemarks in Odense standen nun hingegen Einzeller, die sehr häufig in den Ozeanen vorkommen und denen bereits eine wichtige Rolle im Stickstoffkreislauf der Erde zugesprochen wird: Ammoniak-oxidierende Archaeen wandeln NH3 zu Nitrit (NO2) um und starten so einen wichtigen biologischen Prozess beim Abbau von Biomasse – die sogenannte Nitrifikation. Um Ammoniak zu Nitrit umwandeln zu können, benötigen die Mikroorganismen allerdings bekanntermaßen molekularen Sauerstoff. „Deshalb galt bisher als unklar, warum manche auch in Gewässern mit sehr geringen Sauerstoffkonzentrationen häufig vorkommen”, sagt Kraft. “Wir dachten zunächst, dass sie dort eher nur rumhängen, ohne aktiv zu sein – wie eine Art Geisterzellen“, sagt die Wissenschaftlerin.
Auch bei Sauerstoffmangel aktiv
Um mehr über die Zusammenhänge zu erfahren, beschlossen die Wissenschaftler experimentell auszuloten, wie die Mikroben auf Sauerstoffmangel reagieren. Sie führten dazu Versuche mit Laborkulturen der Archae Nitrosopumilus maritimus durch. Die Bedingungen entsprachen denen, wie sie in den tiefen und finsteren Meeresbereichen auftreten können, in denen diese Einzeller vorkommen. “Wir wollten sehen, was passiert, wenn sie aus sauerstoffreichem Wasser in sauerstoffarmes Wasser wechseln. Würden sie überleben?”, so Kraft.
Zu ihrer Überraschung stellten die Wissenschaftler fest: „Nachdem die Mikroben den letzten Sauerstoff aufgebraucht hatten, stieg der Gehalt im Wasser innerhalb von Minuten wieder an. Das war sehr aufregend!”, berichtet Seniorautor Don Canfield von der Universität von Süddänemark. Es stellte sich somit heraus, dass Nitrosopumilus maritimus in der Lage ist, in einer dunklen Umgebung Sauerstoff zu produzieren. Die Forscher stellten außerdem fest, dass die Einzeller in sauerstoffarmer Umgebung gasförmigen Stickstoff (N2) freisetzen.
Wie aus den Analysen hervorgeht, reicht die produzierte Sauerstoffmenge offenbar aus, um den Ammoniakstoffwechsel zu betreiben. Wie die Mikroben das Gas herstellen, müssen allerdings erst weitere Untersuchungen aufklären. Offenbar handelt es sich dabei um ein bisher unbekanntes Konzept. Denn im Genom von Nitrosopumilus maritimus fanden die Wissenschaftler keine Gene, die bisher für Verfahren der Sauerstoffherstellung durch Mikroben bekannt sind.
Mögliche Bedeutung für den marinen Stickstoffkreislauf
Doch welche Bedeutung haben die Befunde? Einen Einfluss auf die irdischen Vorräte kann zumindest die Sauerstoffproduktion durch Nitrosopumilus maritimus wohl nicht haben, sagen die Wissenschaftler. Es scheinen höchstens lokale Effekte auf weitere Organismen in der Umgebung möglich. “Wenn diese Mikroben etwas mehr Sauerstoff produzieren, als sie selbst benötigen, wird dieser schnell von anderen Organismen in ihrer Nähe aufgenommen, sodass dieser Sauerstoff den Ozean nie verlassen würde”, erklärt Kraft.
Dennoch hat das System möglicherweise weitreichende Bedeutung. Denn wenn bestimmte Archaeen die Sauerstoffproduktion an die Produktion von gasförmigem Stickstoff knüpfen können, entfernen sie dabei bioverfügbaren Stickstoff aus der Umwelt. “Wenn diese Lebensweise in den Ozeanen weit verbreitet ist, müssten wir unsere bisherige Sicht auf den marinen Stickstoffkreislauf verändern“, so Kraft. Inwieweit dies der Fall ist sowie die Details der beteiligten Stoffwechselprozesse, wollen sie und ihre Kollegen nun durch weitere Untersuchungen klären.
Quelle: University of Southern Denmark, Universität Oldenburg, Fachartikel: Science, doi: 10.1126/science.abe6733