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Sauerstoff aus der dunklen Tiefsee

Erde|Umwelt

Sauerstoff aus der dunklen Tiefsee
Manganknolle
Dieses dunkle Gebilde ist eine Manganknolle aus der Tiefsee. Sie haben sich als unerwartete Sauerstoffproduzenten erwiesen. © Franz Geiger/ Northwestern University

Bisher galt der tiefe Meeresgrund eher als Zone, in der Sauerstoff verbraucht wird – beispielsweise durch die Tätigkeit von Meeresmikroben. Doch jetzt hat ein Forschungsteam entdeckt, dass in der Tiefsee auch trotz Dauerdunkel Sauerstoff erzeugt werden kann. Verantwortlich dafür sind die metallhaltigen Manganknollen, die als wertvolle Rohstoffquelle und mögliche Ziele für den Tiefseebergbau gelten. Wie sich nun zeigt, wirken diese Knollen wie kleine Geo-Batterien: Sie erzeugen genügend Strom, um das Meerwasser elektrolytisch zu spalten und so Sauerstoff freizusetzen, wie das Team anhand von Labormessungen beobachtete. Diese “dunkle Sauerstoffproduktion” werfe auch ein neues Licht auf die Bedingungen im Urozean und die Entstehung der ersten aeroben Lebensformen, so die Forschenden.

Gängiger Annahme nach waren die Atmosphäre und Meere der frühen Erde noch sauerstoffarm. Die ersten Lebensformen waren daher anaerob und für ihren Stoffwechsel nicht auf das Atemgas angewiesen. Erst die sich ausbreitenden Cyanobakterien und andere Photosynthese-treibende Einzeller erzeugten dann nach und nach genügend Sauerstoff, um auch höhere, aerobe Lebensformen zu ermöglichen. In der Tiefsee und anderen Orten, in denen Dauerdunkel herrscht und daher keine Photosynthese möglich ist, wird dagegen nur wenig Sauerstoff produziert – der größte Teil entsteht quasi als Nebenprodukt bei der anaeroben Zersetzung sauerstoffhaltiger Materialien – so die Theorie.

Sauerstoffproduktion im Dauerdunkel

Von dieser Annahme gingen auch Forschende um Andrew Sweetman von der Scottish Association for Marine Science (SAMS) aus, als sie Proben vom Meeresgrund der pazifischen Clarion-Clipperton-Zone untersuchten, dem Tiefseegebiet, das als Lizenzgebiet für den künftigen Tiefseebergbau ausgewiesen ist. Am rund 4000 Meter tief liegenden Meeresgrund kommen dort gehäuft Manganknollen vor. Diese rundlichen, über Jahrmillionen gewachsenen Klumpen enthalten wertvolle und für Hightech-Anwendungen wichtige Metallrohstoffe wie Kupfer, Mangan, Nickel, Kobalt oder Seltene Erden. Im Vorfeld eines möglichen Abbaus dieser Knollen untersuchen Wissenschaftler aus aller Welt intensiv, welche Organismen im Umfeld dieser Gebilde leben und welche möglichen Folgen ein Abbau hätte. Sweetman und sein Team hatten für ihre Tests Sediment und Manganknollen aus der Clarion-Clipperton-Zone vor Ort in spezielle Tiefsee-Probenkammern versetzt und dort verschiedenen Bedingungen ausgesetzt. Dabei ermittelten sie auch den Netto-Sauerstoffgehalt der Proben.

Die Auswertungen der Sensoren zeigten Überraschendes: Es entstand in den Tiefseeproben mehr Sauerstoff als durch die ablaufenden Prozesse aufgezehrt wurde. Im Schnitt lag die Netto-Sauerstoffproduktion in den benthischen Probenkammern trotz Dauerdunkel bei 1,7 bis 18 Millimol Sauerstoff pro Quadratmeter und Tag wie das Team ermittelte. “Als wir diese Daten erhielten, glaubten wir zuerst an eine Fehlfunktion der Sensoren, denn jede bisher in der Tiefsee durchgeführte Studie hat immer nur einen Sauerstoffverbrauch festgestellt, nicht aber eine Sauerstoffproduktion”, sagt Sweetman. Doch auch nach mehrfacher Rekalibrierung der Sensoren und Messungen mit einer alternativen Methode blieben die Ergebnisse gleich. “Als beide Methoden das gleiche Resultat ergaben, wussten wir, dass wir hier etwas Bahnbrechendem und bisher Unvorstellbaren auf der Spur waren”, so Sweetman weiter.

Spannung-erzeugende Knollen

Um herauszufinden, wo der Tiefsee-Sauerstoff herkommt, führten die Forschenden weitere Tests im Labor durch. Dabei standen vor allem die Manganknollen im Fokus, weil in Gebieten mit hoher Knollendichte besonders hohe Sauerstoffwerte gemessen worden waren. “Die Tatsache, dass wir die Sauerstoffproduktion auch in Ex-Situ-Kontrollproben nur mit polymetallischen Knollen nachgewiesen haben, deutete ebenfalls darauf hin, dass dies mit ihrer Präsenz zusammenhing”, berichtet das Team. Nähere Analysen ergaben, dass die Manganknollen eine überraschend hohe elektrische Ladung erzeugen – fast wie eine Batterie. “Wir vermuten, dass diese Energie von den Potentialdifferenzen der MetalIionen in den Knollenschichten stammt” schreiben Sweetman und seine Kollegen. Dies führe zu einer internen Umverteilung von Elektronen und erzeuge so die elektrische Spannung. In ihren Tests erreichte die Spannung an der Oberfläche einiger Manganknollen bis zu 0,95 Volt. “Es scheint, dass wir damit eine natürliche ‘Geobatterie’ entdeckt haben”, sagt Co-Autor Franz Geiger von der Northwestern University in Illinois. “Diese Geobatterien bilden die Basis für eine mögliche Erklärung der dunklen Sauerstoffproduktion im Ozean.”

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Demnach könnte von den Manganknollen erzeugte elektrische Spannung eine Elektrolyse des sie umgebenden Meerwasser auslösen. Denn wie das Team erklärt, reichen rund 1,5 Volt für diese Auftrennung von Meerwasser in Sauerstoff und Wasserstoff aus. Wenn am Meeresgrund mehrere Manganknollen zusammenliegen, könnte sich ihre Spannung addieren – ähnlich wie bei in Serie geschalteten Batterien – und ausreichen, um diesen Prozess in Gang zu setzen. “Meiner Ansicht nach ist dies eine der spannendsten Entdeckung in der Meeresforschung der jüngsten Zeit”, kommentiert Nicholas Owens, Direktor der Scottish Association for Marine Science. “Der Nachweis einer Sauerstoffproduktion durch einen nicht-photosynthetischen Prozess zwingt uns dazu, auch unsere Vorstellungen zur Entstehung komplexen Lebens auf diesem Planeten neu zu überdenken.” Denn solche “Geobatterien” am Meeresgrund könnten schon vor der Ausbreitung von Cyanobakterien und anderen photosynthesefähigen Organismen Sauerstoff für die ersten aeroben Lebensformen geliefert haben.

Gleichzeitig wirft die Entdeckung der dunklen Sauerstoffproduktion durch die Manganknollen auch neue Fragen zum künftigen Tiefseebergbau auf. “Dies setzt ein großes Fragezeichen hinter die Strategien für den Tiefseebergbau, denn die tierische Artenvielfalt ist in den knollenreichen Gebieten höher als in den artenreichsten tropischen Regenwäldern”, sagt Geiger. Die jetzt entdeckte Sauerstoffproduktion könnte einer der Gründe dafür sein. Doch wenn die Knollen entfernt werden, könnte dies die Lebenswelt der Tiefsee mehr schädigen als bisher angenommen.

Quelle: Andrew Sweetman (The Scottish Association for Marine Science (SAMS), Oban) et al.; doi: 10.1038/s41561-024-01480-8

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