Heute lebende kleine Säugetiere werden schnell erwachsen und haben eine kurze Lebensspanne. Ihre urtümlichen Verwandten hingegen, die zur Zeit der Dinosaurier lebten, wurden wesentlich älter und waren selbst mit ein bis zwei Jahren noch nicht ausgewachsen. Das belegen zwei außergewöhnliche Fossilfunde aus Schottland, die ein erwachsenes Tier und ein Jungtier der gleichen Art umfassen. Die Exemplare waren etwa so groß wie eine Maus und werden auf ein Alter von rund 166 Millionen Jahren datiert.
Für heute lebende Säugetiere gilt üblicherweise die Faustregel, dass kleinere Tiere schneller wachsen und kürzer leben als größere. Mäuse beispielsweise sind bereits im Alter von etwa zwei Monaten geschlechtsreif und werden kaum älter als ein Jahr. Elefanten hingegen werden erst ab ihrem zehnten Lebensjahr geschlechtsreif und erreichen Lebensspannen von etwa 60 bis 70 Jahren. Doch wann entwickelte sich dieses Muster im Laufe der Evolution? „Da es kaum fossiles Material von Jungtieren früher Vorfahren der heutigen Säugetiere gibt, ist das Verständnis bezüglich der Ontogenese von frühen Säugetierartigen begrenzt“, erklärt ein Team um Elsa Panciroli von den National Museums Scotland in Edinburgh.
Jungtier eines Ur-Säugetiers
Nun sind Panciroli und ihr Team der Antwort auf diese Frage einen bedeutenden Schritt nähergekommen. Dazu verhalfen ihnen zwei 166 Millionen Jahre alte Skelette von etwa mausgroßen Ur-Säugetieren, die auf der Isle of Skye in Schottland entdeckt wurden. Dabei handelt es sich um ein nahezu komplett erhaltenes Skelett eines ausgewachsenen Exemplars der Art Krusatodon kirtlingtonensis sowie um Teile eines weiteren Skeletts, das den Analysen zufolge von einem Jungtier der gleichen Art stammt. Bei Krusatodon kirtlingtonensis handelt es sich um Vertreter der sogenannten Docodontes, einer ausgestorbenen Schwestergruppe der heutigen Säugetiere.
„Diese Fossilien gehören zu den weltweit vollständigsten Skeletten von Säugetierartigen aus dieser Zeitspanne“, sagt Panciroli. „Sie geben uns einen noch nie dagewesenen Einblick in das Leben der ersten Säugetiere zur Zeit der Dinosaurier.“ Mit Hilfe von Röntgenbildern gelang es den Forschenden, die Fossilien digital zu rekonstruieren und zerstörungsfrei zu untersuchen. Anhand der Größe und Proportionen der Knochen und Zähne schätzten Panciroli und ihre Kollegen, dass das erwachsene Tier zwischen 54 und 1568 Gramm wog, sich also etwa im Größenbereich zwischen Spitzmaus und Degu befand. Das Gewicht des Jungtieres lag den Schätzungen zufolge zwischen 32 und 80 Gramm.
Altersschätzung anhand der Zähne
Um das Alter der beiden Individuen zum Zeitpunkt ihres Todes zu bestimmen, fokussierte sich das Team auf die Wachstumsringe im Zahnzement. „Demnach war das erwachsene Tier zum Zeitpunkt seines Todes etwa sieben Jahre alt und das Jungtier zwischen sieben Monaten und zwei Jahren“, berichten Panciroli und ihre Kollegen. Diesen Ergebnissen zufolge wurde Krusatodon deutlich älter als ähnlich große heutige Säugetiere. „Obwohl Krusatodon äußerlich wie eine Spitzmaus oder Maus aussah, war es im Inneren ganz anders“, schreiben die Forschenden. „Es wuchs langsamer und lebte viel länger als heutige Kleinsäuger. Infolgedessen hatte es wahrscheinlich auch eine ganz andere Physiologie und Lebensgeschichte.“
Die Analysen zeigten auch, dass das Jungtier noch im Zahnwechsel war, also noch einige Milchzähne hatte, während andere bereits durch Erwachsenenzähne ersetzt worden waren. „Die relative Abfolge des Zahnwechsels bei Krusatodon ähnelt der, die bei heutigen Säugetieren zu beobachten ist“, erklärt das Forschungsteam. Anders als bei heutigen vergleichbaren Arten fand diese Entwicklung aber deutlich später im Leben statt.
„Die Entdeckung ermöglicht einen beispiellosen Einblick in den Entwicklungsplan eines frühen Verwandten der Säugetiere“, fassen die Forschenden zusammen. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass der grundlegende Wechsel zu schnellerem Wachstum bei kürzerer Lebensspanne bei den Säugetierartigen erst während oder nach dem Mittleren Jura stattgefunden haben könnte.“ Die Triebkräfte dieser Veränderung seien allerdings nach wie vor unklar. Dazu brauche es weitere fossile Jungtiere anderer Arten von Ur-Säugetieren, so das Team.
Quelle: Elsa Panciroli (National Museums Scotland, Edinburgh) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-024-07733-1