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Rentiere schlafen beim Wiederkäuen

Zoologie

Rentiere schlafen beim Wiederkäuen
Zwei Rentiere im Schnee
Rentiere grasen im Sommer deutlich mehr, damit sie im Winter von der angefressenen Speckschicht zehren können. Um Zeit zu sparen, schlafen sie, während sie ihr Futter verdauen. © Frank Meissner

Rentiere sind Multitasker. Sie können gleichzeitig schlafen und aktiv ihr Futter verdauen, indem sie wiederkäuen, wie Forschende herausgefunden haben. Ihr Schlaf ist währenddessen sogar zeitweise tief und erholsam und ähnelt dem Tiefschlaf. Zugleich verbringen die Rentiere umso weniger Zeit im normalen Tiefschlaf, je mehr Zeit sie mit dem Schlummer beim Wiederkäuen verbringen. Durch die Verdauungsschläfchen sind die Tiere insgesamt ausgeruhter als ohne diese Schlafphasen und gewinnen dadurch im Sommer wertvolle Zeit, um sich genügend Winterspeck anzufressen.

Einige Säugetiere wie zum Beispiel Kühe, Schafe und Hirsche haben mehrere Mägen. Wie ihr Name sagt, kauen diese Wiederkäuer ihre Nahrung, schlucken sie runter, würgen das halbverdaute Futter wieder hoch und kauen es erneut. Dadurch verwerten sie die Inhaltsstoffe ihrer rein pflanzlichen Nahrung effizienter als bei nur einem Kaudurchgang. Diese Strategie wenden auch die in Tundra und Taiga der nördlichen Polarregionen weit verbreiteten Rentiere an. Während der futterreichen Sommermonate grasen sie dort beinahe rund um die Uhr, um genug Energie in Form von Körperfett für den langen dunklen Winter anzusammeln, wenn sie nur noch wenig Nahrung finden. Weil es in der Arktis im Sommer nie richtig dunkel und im Winter nie richtig hell wird, richten sich Rentiere in dieser Zeit auch nicht nach Tag oder Nacht, wie frühere Studien zeigen. Ob und wie die Tiere während der intensiven Futterzeit im Sommer genug Schlaf und Erholung bekommen, war bislang ein Rätsel.

Rentiere schlafen im Sommer und Winter gleich viel

Eine Forschungsgruppe um Melanie Furrer von der Universität Zürich hat nun erstmals das Schlafverhalten der Rentiere genauer untersucht. Dafür maßen die Neurowissenschaftler per EEG die Gehirnströme von vier erwachsenen, weiblichen Eurasischen Tundra-Rentieren (Rangifer tarandus tarandus). Diese gehörten zu einer Herde, die in Ställen der Universität von Tromsø in Norwegen lebt. Um herauszufinden, ob der Hell-Dunkel-Rhythmus einen Einfluss auf die Schlafqualität und das Schlafmuster der Rentiere hat, führten Furrer und ihre Kollegen die Messungen dreimal für je vier Tage durch: In der Zeit um die Sommer- und Wintersonnenwende sowie während der Tagnachtgleiche im Herbst. Die Versuchstiere hatten stets unbegrenzten Futterzugang.

Nahaufnahme eines Rentiers
Rentiere gehören zu den Wiederkäuern. Eine Forschungsgruppe aus Norwegen hat ihr Schlaf- und Verdauungsverhalten untersucht. © Leo Rescia

Die EEG-Aufnahmen zeigten überraschenderweise, dass die Rentiere unter diesen Bedingungen insgesamt immer gleich viel schliefen, egal zu welcher Jahreszeit. Im Schnitt verbrachten sie täglich 5,4 Stunden im sogenannten Non-REM-Schlaf, zu dem auch Tiefschlafphasen gehören, 0,9 Stunden im REM- oder Traumschlaf und 2,9 Stunden mit Wiederkäuen. Zugleich waren die Tiere aber im Sommer viel aktiver und fraßen wie in freier Wildbahn mehr und länger, wie die Wissenschaftler beobachteten. Wie passt das zusammen? „Die Tatsache, dass Rentiere im Winter und im Sommer gleich viel schlafen, bedeutet, dass sie über andere Strategien verfügen müssen, um mit der begrenzten Schlafzeit im arktischen Sommer umzugehen“, sagt Seniorautorin Gabi Wagner von der Universität Tromsø. Sie und ihr Team vermuteten, dass sich die Rentiere während des Wiederkäuens ausruhen – ähnlich, wie es bereits bei anderen Wiederkäuern beobachtet wurde. Denn dabei liegen oder stehen sie ähnlich still wie beim Schlafen, und reagieren deutlich weniger auf ihre Umgebung.

Rentiere schlafen und verdauen gleichzeitig

Um diese Theorie zu testen, werteten Furrer und ihre Kollegen die EEG-Aufnahmen detaillierter aus und beobachteten die Folgen von gezieltem vorübergehendem Schlafentzug. Tatsächlich zeigte sich dabei, dass die Gehirnströme der Rentiere während des Wiederkäuens zeitweise dem der Non-REM-Schlafphasen ähnelten. Demnach ruhen die Tiere beim Wiederkäuen nicht nur, sondern schlafen sogar zeitweise tief und fest, während sie ihr Futter verdauen. Indem sie gleichzeitig ihren Schlaf- und Verdauungsbedarf decken, sind die Tiere nach dem Wiederkäuen „ausgeruhter“, als wenn sie dabei wach blieben, berichten die Forschenden.

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Außerdem sparen die Rentiere dabei Zeit: „Je länger Rentiere wiederkäuen und dabei schlafen, desto weniger zusätzlichen Non-REM-Schlaf brauchen sie“, erklärt Furrer. Das sei vor allem im Sommer wichtig, wenn die Tiere mehr fressen und mehr verdauen müssen. Im Sommer litten die Rentiere entsprechend auch weniger unter den Folgen des gezielten Schlafentzugs als im Winter, weil sie diesen im Sommer häufiger durch Verdauungsschlaf kompensierten. Die Daten zeigen aber auch, dass Rentiere beim Wiederkäuen nur zeitweise schlafen. Warum das so ist und ob das Wiederkäuen möglicherweise weniger effizient ist, wenn die Tiere dabei schlafen, müssen Folgestudien klären. Diese könnten dann auch das Verhalten und den Schlaf von jüngeren Rentieren sowie von Rentieren unter natürlicheren Bedingungen untersuchen.

Rentierherde im Sommer
Traditionelle Rentierzüchter fordern seit Langem, dass Rentiere auf Weiden in Ruhe gelassen werden, damit sie sich ausreichend erholen können. © Current Biology Furrer et al.

Gleichzeitig erklären die Befunde, warum Rentiere große Areale brauchen, in denen sie ungestört grasen können. „Unsere Daten verdeutlichen das Bedürfnis der Rentiere nach ungestörtem Wiederkäuen und Ruhe und untermauern die wiederholten Forderungen traditioneller Rentierzüchter nach Weidefrieden in der Nähe von Menschen“, sagt Wagner.

Quelle: Melanie Furrer (Universität Zürich) et al., Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2023.12.012

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