Zum Potenzial von Wäldern als CO2-Senken gab es in den vergangenen Jahren teils widersprüchliche Angaben. Nun bestätigt eine umfassende Studie in der Fachzeitschrift „Nature“, dass biologisch vielfältige Wälder unter Umständen große Kohlenstoffspeicher sind. Demnach könnten wiederhergestellte naturbelassene Wälder mit vielen verschiedenen Baumarten rund 226 Gigatonnen Kohlenstoff binden – zusätzlich zum bisherigen Speicherpotenzial der Wälder. Allerdings ist das nur dann möglich, wenn wir Menschen parallel unsere Treibhausgasemissionen stark reduzieren und die Biodiversität besser schützen, betonen die Wissenschaftler.
Bäume können über die Photosynthese Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre aufnehmen und in Form von Biomasse speichern. Wälder haben daher ein enormes Potenzial, die CO2-Emissionen von uns Menschen auszugleichen und das Klima zu stabilisieren. Durch Wiederaufforstung könnten sie noch größere Mengen dieses klimaschädlichen Treibhausgases aufnehmen. Doch wie viel CO2 Wälder tatsächlich binden können und wie groß ihr Klimaschutz-Effekt dadurch ist, darüber waren sich Wissenschaftler bislang nicht einig. Eine „Science“-Studie aus dem Jahr 2019 ergab, dass durch Wiederaufforstung 205 Gigatonnen Kohlenstoff gebunden werden könnten – was etwa 30 Prozent des vom Menschen in die Atmosphäre freigesetzten CO2 entspricht. Weitere Studien bestätigten die Ergebnisse, andere Forschende hielten die Zahl für übertrieben und ermittelten ein um vier- bis fünffach niedrigeres Speicherpotenzial durch Wälder.
Neue Analyse von Wäldern als CO2-Speicher
Um herauszufinden, wie wirksam Aufforstung tatsächlich ist, hat ein internationales Team um Lidong Mo von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich nun das Speicherpotenzial von Wäldern neu bewertet. An der Studie waren hunderte Forschende aus der ganzen Welt beteiligt, teils dieselben wie an der Studie von 2019. Die Wissenschaftler werteten mit verschiedenen Methoden und Rechenmodellen einen umfangreichen Datensatz zur weltweiten Biomasse aus, der von Satelliten und Messstationen am Boden stammt und umfassendere Informationen enthielt als frühere Studien. Daraus bestimmten sie den in Bäumen, Totholz und Böden von Wäldern gebundenen Kohlenstoff. Anders als 2019 berücksichtigt die neue Studie auch, wie viel zusätzlichen Kohlenstoff bestehende, aber geschädigte Wälder bei einem besseren Management binden könnten.
Das Ergebnis: Derzeit wird das natürliche Speicherpotenzial der Wälder weltweit nicht vollständig ausgeschöpft. Weil wir Menschen immer mehr Waldflächen für Siedlungen und die Landwirtschaft roden oder schädigen, liegt ihr Kohlenstoff-Speichervermögen um etwa 328 Gigatonnen CO2 unter dem Potenzial, das ohne den Einfluss von uns Menschen möglich wäre. Teilweise werden die entwaldeten oder geschädigten Gebiete auch gar nicht genutzt und könnten renaturiert, also in naturnahe Wälder umgewandelt werden. Auf dieser Fläche könnten Wälder weltweit rund 226 Gigatonnen Kohlenstoff binden, wie die Forschenden berechneten.
Doch um dies zu erreichen, sind weitere Maßnahmen nötig. Zum einen müssten bestehende Wälder geschützt werden, so dass sie sich erholen können. Dadurch könnten etwa 61 Prozent des bislang ungenutzten Potenzials (139 Gigatonnen) erzielt werden, berichten Mo und seine Kollegen. Zum anderen müssten die Wälder aktiv renaturiert werden, etwa indem kleinere Waldflächen zu größeren zusammengeführt, neue Bäume gepflanzt und die neuen Flächen nachhaltig bewirtschaftet werden. Dadurch würden die natürlichen Ökosysteme wiederhergestellt und die restlichen 39 Prozent (87 Gigatonnen) des ungenutzten CO2-Speicherpotenzials erreicht.
Aufforstung allein reicht nicht
Die neuen Daten zeigen aber auch, dass ungefähr die Hälfte des globalen Speicherpotenzials der Wälder von ihrer Artenvielfalt abhängt. „Die meisten Wälder der Erde sind stark geschädigt“, erklärt Mo. „Um die Biodiversität weltweit wiederherzustellen, muss vor allem die Entwaldung gestoppt werden.“ Wenn Wälder zudem aufgeforstet werden, müssten viele verschiedene Baumarten verwendet und diese nachhaltig angepflanzt werden, um die natürliche Artenvielfalt zu fördern und ihr volles Speichervermögen zu erreichen, berichten die Wissenschaftler. Dies sei eine Gemeinschaftsaufgabe und liege in der Verantwortung von uns Menschen, um die Wälder und damit das Klima und letztlich auch unsere eigene Lebensgrundlage zu schützen.
„Wiederherstellung bedeutet nicht, massenhaft Bäume zu pflanzen, um Kohlenstoffemissionen auszugleichen“, betont Seniorautor Thomas Crowther von der ETH Zürich. Wiederherstellung bedeute vielmehr, lokale Gemeinschaften, indigene Völker und Bauern zu unterstützen, die durch ihr Handeln weltweit die biologische Vielfalt fördern. „Nur wenn eine gesunde Artenvielfalt zur bevorzugten Wahl für lokale Gemeinschaften wird, erreichen wir langfristig als positiven Nebeneffekt das volle CO2-Speicherpotenzial“, erklärt Crowther.
Auch Wiesen und Moore speichern CO2
Doch nicht nur Bäume sind als CO2-Senken und für eine intakte Umwelt wichtig, sondern auch andere Pflanzen. Eine umweltgerechte Wiederherstellung der Wälder dürfe daher nicht zu Lasten anderer Ökosysteme wie Tundren oder Grasländer gehen, mahnt das Forschungsteam. „Wir müssen die natürliche Biodiversität aller Ökosysteme, die für das Leben auf der Erde wichtig sind, schützen – dazu zählen auch Wiesen, Moore oder Feuchtgebiete“, sagt Coautor Constantin Zohner von der ETH Zürich. Die Studie belegt insgesamt, dass naturbelassene, artenreiche Wälder tatsächlich bis zu 30 Prozent des von uns Menschen verursachten Kohlenstoffdioxid-Ausstoßes binden könnten – so wie es auch die Studie von 2019 zeigte.
Den Schluss, den die Forschenden damals aus ihren Erkenntnissen zogen, präzisieren Mo und seine Kollegen jedoch nun: Wir Menschen sollten unser Hauptaugenmerk nicht allein auf die Wiederherstellung der Wälder und der Natur setzen, um das Klima zu schützen. Ebenso wichtig sei es, unsere fossilen Emissionen zu senken. Denn diese bedrohen durch ihre Auswirkungen wie anhaltende Dürren, Waldbrände und die Erderwärmung bereits jetzt die Wälder, wodurch diese wiederum immer weniger CO2 speichern können, warnen die Forschenden. „Wir können nicht wählen, ob wir Emissionen senken oder die Natur schützen wollen – beides ist dringend nötig. Wir brauchen die Natur für das Klima und wir brauchen Klimaschutz für die Natur“, betont Crowther. „Je mehr Treibhausgase wir ausstoßen, desto größer ist die Gefahr für Mensch und Natur.“
Hinzu kommt, dass selbst bei sofortiger Aufforstung die Wirkung als effektive Kohlenstoffsenke auf sich warten lassen würde, weil Bäume nun mal Zeit zum Wachsen brauchen. „Mit den hier berechneten, maximal möglichen Vorräten ist, unabhängig von der Flächengröße, wohl erst in 100 bis 200 Jahren zu rechnen, wenn man sofort überall gleichzeitig beginnen würde“, sagt Christian Körner von der Universität Basel, der nicht an der Studie beteiligt war. „Die Verhinderung der Abholzung alter Wälder hat hingegen sofortige Wirkung.“ Künftige Einflüsse auf Wälder durch das Handeln von uns Menschen und den Klimawandel sind in der Studie nicht berücksichtigt, weil sie nur schwer vorgesagt werden können.
Quelle: Lidong Mo (ETH Zürich) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-023-06723-z