Wurm-Kot kann offenbar ein Schatz für die Forschung sein: Durch Analysen von sogenannten Kalzit-Körnern in uralten Regenwurm-Ausscheidungen haben Wissenschaftler Einblicke in Temperaturen und Niederschläge im heutigen Deutschland in der Eiszeit gewonnen. Demnach waren die Sommer in Mitteleuropa damals zeitweise wärmer als bisher bekannt. Das Potenzial der Regenwurm-Methode für die Paläoklimaforschung sollte nun systematisch ausgeschöpft werden, sagen die Wissenschaftler.
Wie war das Wetter in bestimmten Regionen in den vergangenen Warm- und Kaltzeiten in der Erdgeschichte? Einblicke in diese Frage können dabei helfen, das Klimageschehen auf unserem Planeten besser zu verstehen – auch mit Blick auf die momentan kritischen Entwicklungen. Außerdem können paläoklimatologische Informationen der Anthropologie Hinweise liefern: Sie beleuchten, welche Lebensbedingungen Menschen einst in bestimmten Regionen vorgefunden haben. Aus klimatischer und anthropologischer Sicht besonders interessant ist dabei die letzte Eiszeit in Europa, die vor etwa 25.000 Jahren ihren Höhepunkt erreichte. Um das Klima der Vergangenheit zu rekonstruieren, hat ein internationales Forscherteam nun im Rahmen des Projekts Projekt “TerraClime” das Potenzial einer neuen – überraschend wirkenden Methode ausgelotet.
“Bisher ist das eiszeitliche Klima im Wesentlichen durch die Analyse von Kleinstlebewesen in Tiefseeablagerungen rekonstruiert worden”, sagt Co-Autor Peter Fischer von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Für das Festland fehlen aber bislang Klimadaten weitgehend. Um eine Möglichkeit aufzuzeigen, dies zu ändern, haben die Wissenschaftler Klimaarchive genutzt, die eiszeitlichen Regenwürmern zu verdanken sind. “Diese neue Methode wurde an der Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne entdeckt und am Max-Planck-Institut für Chemie weiterentwickelt”, sagt Fischer. Nun kam das Verfahren praktisch zum Einsatz: “Wir haben es für die Rekonstruktion des Klimas am Schwalbenberg bei Remagen und in Nußloch bei Heidelberg angewendet.”
Paläoklimaforschung mit Wurm
Wie die Forscher erklären, sind an beiden Standorten terrestrische Sedimente aus der Eiszeit zu finden. In dem sogenannten Löss zeigen sich dabei Abfolgen aus der Zeit von 45.000 bis 22.000 Jahren vor heute. In diesen Ablagerungen haben sich auch die Regenwürmer dieser Ära verewigt, und zwar in der Form von 2,5 Millimeter großen Kalzit-Körnern – “Earthworm Calcite Granules” (ECGs). Diese vorwiegend aus Kalk bestehenden Gebilde werden von Regenwürmern täglich mit dem Kot abgesondert. Das geschah auch einst in den nicht von Gletschern bedeckten Graslandschaften, die sich an den beiden Fundorten in der Eiszeit erstreckten.
Aus diesen Regenwurm-Kalzit-Körnern lassen sich durch moderne Analysemethoden zentrale Eckdaten für die Paläoklimaforschung gewinnen, erklären die Wissenschaftler: Zunächst kann mithilfe der Radiokohlenstoffmethode, die auf dem Zerfall des natürlich vorkommenden radioaktiven Kohlenstoffisotops 14C basiert, das Alter der Gebilde präzise bestimmt werden. Analysen der Verhältnisse von stabilen Sauerstoffisotopen und stabilen Kohlenstoffisotopen in den Körnern können dann außerdem Rückschlüsse auf zwei wichtige Wettergrößen liefern: Aus früheren Untersuchungen von Kalzitablagerungen ist bekannt, dass sich Temperaturen und Niederschlagsverhältnisse in bestimmten Mustern der Isotopenverhältnisse widerspiegeln. Mit anderen Worten: Die Analyseergebnisse können zeigen, wie warm und wie feucht es zum Zeitpunkt der Entstehung der Wurm-Ausscheidungen war, erklären die Forscher.
Wärmere Sommer als bisher angenommen
Wie sie berichten, bestätigten die Ergebnisse nun das Potenzial der Methode: “Die Analyse der anhand der ECGs gewonnenen Daten belegt, dass es vor 45.000 bis 22.000 Jahren in Mitteleuropa wesentlich trockener war als heute, mit bis zu 70 Prozent weniger Feuchtigkeit”, sagt Erst-Autorin Charlotte Prud’homme von der Universität Lausanne. Dies betätigt und erweitert dabei bisherige Erkenntnisse über das eiszeitliche Klima. Die Erprobung der Methode konnte aber auch bereits für einen neuen Einblick sorgen, betonen die Forscher: Aus den Untersuchungsergebnissen geht hervor, dass die Sommertemperaturen damals deutlich höher waren als bisher angenommen. “Zwar waren die Sommer zum Höhepunkt der letzten Eiszeit etwa vier bis elf Grad kälter als heutzutage, jedoch lagen sie nur ein bis vier Grad unterhalb der Werte kurzer milderer Klimaphasen, die in der letzten Eiszeit auftraten”, sagt Fischer.
Dieses Ergebnis ist auch aus anthropologischer Sicht interessant, betont Co-Autor Olaf Jöris vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz: “Vielleicht war es angesichts dieser Sommertemperaturen auch Menschen möglich, in Mitteleuropa im Kältemaximum ein Auskommen zu finden – in einer Zeit, für die bislang angenommen wird, dass Menschen hier nicht überleben konnten”, sagt der Experte für Pleistozäne und Frühholozäne Archäologie.
Wie Fischer abschließend hervorhebt, zeichnet sich nun Potenzial für die Regenwurm-Methode in der Paläoklimaforschung ab: “Da sich in vielen Löss-Abfolgen ECGs finden lassen, können nun großflächig Temperaturen und Niederschlagsverhältnisse der Vergangenheit an Land bestimmt werden. So könnte sich eine Datenbank aufbauen lassen, mit deren Hilfe sich die Klimaveränderungen der Vergangenheit auf dem Festland präzise dokumentieren lassen“, so der Wissenschaftler. Dies könnten ihm zufolge auch aktuelle Bedeutung haben: „Durch die Berücksichtigung landbasierter Klimadaten werden Klimamodellierungen zur Vergangenheit auf eine umfassendere Datenlage zurückgreifen können und Ursache-Wirkungsketten auch hinsichtlich zukünftiger Klimaschwankungen besser verstanden werden”, sagt Fischer.
Quelle: Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Fachartikel: Communications Earth & Environment, doi: 10.1038/s43247-022-00595-3