Die Chemikalie Bisphenol A (BPA) steckt in vielen Alltagsprodukten, von Wasserflaschen über Verpackungen und Beschichtungen von Konservendosen bis hin zu Plastikschüsseln und sogar Kassenzetteln. Der Grund: Das Bisphenol A wird Kunststoffen zusammen mit Weichmachern zugesetzt, um sie flexibler, elastischer und haltbarer zu machen. Doch der praktische Zusatz hat eine Schattenseite, wie Studien belegen: BPA entfaltet in der Umwelt und im Körper eine hormonähnliche Wirkung und kann daher die normalen Regelkreise des menschlichen und tierischen Hormonhaushalts stören. Als Folge führt dieser endokrine Disruptor bei männlichen Tieren zur Verweiblichung, verändert ihr Verhalten und steht im Verdacht, bestimmte Krebsarten zu fördern. “Viele Länder haben daher bereits die Nutzung von BPA in Materialien verboten oder eingeschränkt, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen – unter anderem in Babyfläschchen”, berichten Zhaobin Zhang von der Universität Peking und seine Kollegen. Um dennoch weiterhin Kunststoffe mit den gewünschten Eigenschaften produzieren zu können, sind viele Plastikhersteller auf Ersatzstoffe für BPA umgestiegen. Sie sollen die gleichen Vorteile bringen, aber weniger gesundheitsschädlich sein.
BHPF: Unschädlicher als Bisphenol A?
Einer dieser Ersatzstoffe ist 9,9-Bis(4-hydroxyphenyl)fluoren, kurz Bisphenol FL oder BHPF. Er wird bereits bei der Produktion verschiedenster Kunststoffe, darunter Polykarbonaten, Polyestern oder Polyurethanen eingesetzt, wie die Forscher berichten. Materialien, die BHPF enthalten, finden sich bereits in Schutzbeschichtungen, Isolierungsmaterial, Bodenbelägen und vielen Elektronikbauteilen. “Ob der Ersatzstoff auch schon in Materialien und Behältern verwendet wird, die in Kontakt mit Lebensmitteln oder Getränken kommen und ob wir dadurch diesem Stoff ausgesetzt sind, blieb aber unklar”, sagen Zhang und seine Kollegen. Auch die gesundheitliche Wirkung von BHPF war nur wenig bekannt, außer, dass es weniger östrogenähnlich wirken soll wie Bisphenol A. Um das zu ändern, haben die Forscher nun diesen Ersatzstoff einer umfangreichen Untersuchung unterzogen. Sie testeten, ob BHPF in Trinkflaschen aus Polykarbonat vorkommt, ob sich der Stoff schon im Blut von Menschen nachweisen lässt und ob er eine hormonähnliche Wirkung entfaltet.
Das erste Ergebnis: Das Bisphenol FL ist längst auch in Alltagsmaterialien im Umlauf – und wird von Menschen aufgenommen. Dies zeigte sich, als die Forscher testeten, ob und wie viel BHPF aus 52 verschiedenen Polykarbonat-Trinkflaschen in das Trinkwasser überging. Unter den getesteten Flaschen waren sowohl Flaschen für Erwachsene, als auch Babyfläschchen und Babytassen. Alle waren als BPA-frei gekennzeichnet. Wie sich zeigte, konnte die Forscher in gut sechs Prozent der Wasserproben aus diesen Flaschen BHPF nachweisen. Die Konzentrationen reichten dabei bis zu 81 Nanogramm pro Liter, wie sie berichten. Aber gelangt der BPA-Ersatzstoff auch ins Blut der Menschen, die aus solchen Flaschen trinken? Um das zu testen, analysierten die Forscher das Blut von 100 Studentinnen und Studenten der Universität Peking. “In China und einigen anderen Ländern ist es üblich, dass man abgekochtes Wasser trinkt”, erklären Zhang und seine Kollegen. “Als Behälter für dieses Wasser werden Plastik-Trinkflaschen genutzt – vor allem bei Studenten sind sie beliebt.” Die Untersuchung ergab: Bei sieben der 100 Studenten war der noch relativ neue BPA-Ersatz bereits im Blut nachweisbar – wenn auch in sehr geringen Mengen von weniger als einem Nanogramm pro Liter.
Wirkt wie ein Östrogenblocker
Ausgehend von diesen Ergebnissen wollten die Wissenschaftler nun wissen, ob das BHPF hormonähnliche Wirkungen zeigt und welche. Dafür führten sie Tests mit Hefezellen, menschlichen Östrogenrezeptoren, aber auch Mäusen durch. Zu ihrer Überraschung ließ sich zwar keine Östrogen-ähnliche Wirkung nachweisen wie beim BPA, dafür aber eine deutliche Anti-Östrogen-Wirkung. “Die in unserer Studie beobachteten reproduktiven Effekte von BHPF sind ähnlich denen von Tamoxifen und RU39411”, berichten Zhang und seine Kollegen. Beide Substanzen werden in der Krebstherapie als Östrogenblocker eingesetzt, um das Wachstum hormonell bedingter Tumoren zu verhindern. Werden solche Östrogenblocker jedoch schwangeren Ratten verabreicht, führt dies unter anderem zu vermehrten Fehlgeburten, kleineren Würfen und leichteren Jungen, wie die Forscher erklären. Ganz ähnliche Effekte beobachteten sie nun, wenn schwangere Mäuseweibchen BHPF erhielten: Mit steigender Dosis nahm das Wachstum der Föten im Mutterleib ab, bis es schließlich sogar zum Absterben der Föten kam. Zudem veränderte das BHPF die Genaktivität der Mäuseweibchen. Erste Effekte beobachteten die Wissenschaftler dabei bereits bei BHPF-Konzentrationen, wie sie sie zuvor im Plastikflaschen-Wasser nachgewiesen hatten.
“Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass auch Bisphenol A-Ersatzstoffe wie BHPF potenziell gesundheitsschädliche Wirkungen haben könnten”, sagen Zhang und seine Kollegen. “Auch bei dieser Chemikalie könnte es daher nicht ratsam sein, sie in Materialien einzusetzen, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen.” Zudem zeige die Studie, dass nicht nur Substanzen mit Östrogen-ähnlicher Wirkung als endokrine Disruptoren agieren können, sondern auch solche, die als Anti-Östrogene wirken. “Unsere Daten sprechen dafür, dass BPA-Ersatzstoffe künftig auch auf ihre Anti-Östrogen-Wirkung hin getestet werden sollten”, so die Forscher. “Zudem sollte die Wirkung von BHPF auf die menschliche Gesundheit weiter untersucht werden.”