Eine zeitweise Schwächung des Erdmagnetfeldes könnte einst evolutionäre Entwicklungen gefördert haben, geht aus einer Studie hervor: Die Forschenden haben Hinweise auf einen Beinahe-Zusammenbruch des irdischen Schirms zwischen 591 und 565 Millionen Jahren gefunden, der möglicherweise mit dem Aufblühen des tierischen Lebens in dieser Ära verknüpft war. Wie sie erklären, könnte das schwache Magnetfeld zu der damals erhöhten Sauerstoffverfügbarkeit beigetragen haben, von der die Organismen profitierten.
Das Erdmagnetfeld gilt als einer der entscheidenden Faktoren, die das Leben auf unserem Planeten ermöglicht haben: Wie eine Art Schutzschild bewahrt es die Organismen vor der aggressiven Teilchenstrahlung der Sonne. Außerdem verhinderte das Magnetfeld, dass die Sonnenwinde die Atmosphäre der Erde ins All hinausreißen konnten. Zu verdanken haben wir diesen Schutzschirm einer Art Dynamo-System: Strömungen von flüssigem Eisen um den festen inneren Erdkern sorgen für den physikalischen Effekt. Er war allerdings nicht immer gleich stark: Es ist bekannt, dass der Prozess in der Erdgeschichte Schwankungen unterworfen war, die zu Perioden mit unterschiedlich starken Erdmagnetfeldern geführt haben.
Dabei gab es auch bereits Hinweise darauf, dass das Feld in einem besonderen Zeitalter der Erdgeschichte geschwächelt haben könnte. Es handelt sich dabei um das sogenannte Ediacarium, das vor 635 Jahren begann und vor rund 540 Millionen Jahren endete. Das Besondere: Fossilienfunden zufolge entwickelten sich im Verlauf dieses Zeitalters die ersten Tierformen im Meer, die sich mit bloßem Auge erkennen lassen. Einige Vertreter dieser skurrilen Ediacara-Fauna erreichten dabei sogar schon Längen über einen Meter.
Dem Magnetfeld im Ediacarium auf der Spur
Die Merkmale dieser Wesen legen nahe, dass sie im Vergleich zu früheren Lebensformen viel Sauerstoff benötigten. Geochemische Untersuchungen haben auch bereits gezeigt, dass das „Lebenselexier“ im Ediacarium wohl auch tatsächlich verstärkt im Wasser verfügbar war. Welche Faktoren zu dem Sauerstoffanstieg beigetragen haben, ist bisher allerdings unklar geblieben. Das internationale Forscherteam um Wentao Huang von der Univerity of Rochester zeigt nun einen möglichen Zusammenhang zwischen der Veränderung des Erdmagnetfeldes, der Erhöhung des Sauerstoffgehaltes und des evolutionären Entwicklungsschubs im Ediacarium auf.
Ihre Studie basiert dabei auf der genaueren Charakterisierung des Zustandes des Magnetfeldes im Verlauf dieses Zeitalters. Die Forschenden analysierten dazu Material aus einer Gesteinsformation in Brasilien, die aus dem Ediacarium stammt. In ihrem Visier standen dabei die Kristalle bestimmter Apatit-Mineralien. Sie enthalten magnetische Partikel, in denen Informationen über das Erdmagnetfeld zum Zeitpunkt ihrer Entstehung konserviert wurden, erklären die Wissenschaftler. Durch Untersuchungen mittels moderner Analyseverfahren konnte sie die Magnetisierung in dem uralten Gestein nun aufdecken und mit weiteren Daten abgleichen.
26 Millionen Jahre anhaltende Magnetfeld-Flaute
Wie das Team berichtet, ergab die Analyse der Kristalle, dass das Erdmagnetfeld zum Zeitpunkt ihrer Entstehung das schwächste war, das jemals gemessen wurde. Die Feldstärke war demnach etwa 30-mal geringer als heute. Den Forschenden zufolge legen die Ergebnisse in Kombination mit Informationen aus früheren Untersuchungen nahe, dass das extrem schwache Niveau die Zeitspanne von vor von 591 bis 565 Millionen Jahren umfasste. Dies überschneidet sich damit auffallend mit dem bekannten hohen Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre und im Meer, der sich für die Zeit von vor 575 bis 565 Millionen Jahren abzeichnet, heben die Forschenden hervor.
Doch wie könnte das schwache Magnetfeld zu mehr Sauerstoff geführt haben? Dafür liefern die Forschenden in ihrer Studie eine plausible Erklärung: Demnach erleichterte das schwache Magnetfeld es den geladenen Teilchen der Sonne, die leichten Atome des Wasserstoffs aus der Atmosphäre in den Weltraum zu treiben. So wäre weniger Reaktionsmaterial für die Bildung von Wasser aus Sauerstoff und Wasserstoff in der Atmosphäre vorhanden gewesen. Im Laufe der Zeit könnte sich deshalb Sauerstoff angereichert haben, der schließlich auch ins Wasser der Ozeane gelangte, erklären die Forschenden.
Dieser Effekt könnte ihnen zufolge somit zur starken Entwicklung des frühen tierischen Lebens im Ediacarium beigetragen haben. Diese Organismen bildeten dann wiederum die evolutionären Grundlagen für die Weiterentwicklung des Lebens im darauffolgenden Zeitalter des Kambriums. In dieser Zeit übernahm das erneut erstarkte Magnetfeld dann wieder seine langfristige Rolle als Schutzschild für das Leben: „Wenn das extrem schwache Feld nach dem Ediacarium bestehen geblieben wäre, könnte die Erde heute ganz anders aussehen: Der Wasserverlust hätte unseren Planeten möglicherweise allmählich austrocknen lassen“, sagt Co-Autor John Tarduno von der University of Rochester. „Ich finde den Gedanken faszinierend, dass Prozesse im Erdkern letztendlich mit der Evolution zusammenhängen könnten“, so der Forscher abschließend.
Quelle: University of Rochester, Fachartikel: Communications Earth & Environment, doi: 10.1038/s43247-024-01360-4