Sie sind die letzten ihrer Art: Weltweit existieren nur noch zwei Exemplare des Nördlichen Breitmaulnashorns. Das ältere der beiden Weibchen, Najin, schicken Artenschützer und Wissenschaftler jetzt in den Ruhestand: Die 32-jährige Nashornkuh muss keine Eizellen mehr spenden. Die Belastung des Tieres durch die Prozedur wiegt die möglichen Erfolge durch eine Nachzucht der Art nicht auf.
Najin und ihre Tochter Fatu sind die beiden einzigen noch lebenden Vertreterinnen des Nördlichen Breitmaulnashorns (Ceratotherium simum cottoni), einer Nashornart, die in freier Wildbahn schon seit 2008 ausgestorben ist. Die letzten Bestände dieser Spezies, die unter anderem in nördlichen Kongo verbreitet war, wurden größtenteils schon in den 1980er Jahren durch Wilderer ausgerottet. Najin, Fatu und das letzte Männchen Sudan stammen aus einem Safaripark und sollten im Rahmen eines Zuchtprogramms Nachkommen erzeugen. Das aber gelang nicht und Sudan starb im Jahr 2017.
Künstliche Befruchtung zur Rettung der Art
Seither versuchen Artenschützer und Tiermediziner, die Spezies mithilfe modernster Methoden der Reproduktionsmedizin zu retten: Den beiden Nashornkühen werden Eizellen entnommen und mit dem vor seinem Tod eingefrorenen Sperma des Nashornbullen Sudan befruchtet. „Bei Nashörnern ist dieses Verfahren absolut neu, und obwohl es von den weltweit führenden Wissenschaftlern und Tierärzten des BioRescue-Teams auf höchst professionelle und sichere Weise durchgeführt wird, ist es mit Risiken für die Tiere verbunden”, erklärt Jan Stejskal, Direktor für internationale Projekte im Safaripark Dvur Králové. Die Nashornkühe müssen sich dafür einer Hormonkur unterziehen, die die Reifung der Eizellen in ihren Eierstöcken fördert. Dann werden ihnen unter Vollnarkose die Eizellen entnommen.
Dieses Verfahren hat bisher zur Produktion von drei Embryos geführt, alle wurden mit Eizellen von Najins Tochter Fatu gezeugt. Die zurzeit noch auf Eis liegenden Embryos sollen künftig von einer Südlichen Breitmaulnashornkuh als Leihmutter ausgetragen werden. Bei der mit 32 Jahren schon recht betagten Najin dagegen waren die Versuche weniger erfolgreich: „Die Eizellenentnahme bei Najin hat nur wenige Eizellen geliefert, von denen keine erfolgreich befruchtet werden konnte, um einen Embryo zu produzieren”, berichtet Stejskal. Ultraschalluntersuchungen haben zudem ergeben, dass Najin mehrere kleine, gutartige Tumore im Gebärmutterhals und der Gebärmutter sowie eine Zyste im linken Eierstock hat. Dies könnte erklären, warum die Eizellentnahme bei ihr nicht so erfolgreich war.
Aus ethischen Gründen “pensioniert”
In Anbetracht dieser Befunde und der wenig vielversprechenden Ergebnisse der Eizellentnahme hat sich das BioRescue-Konsortium dazu entschlossen, Najin in den Ruhestand zu schicken: “Ein einzelnes Tier aufgrund von Tierschutzbedenken aus einem Schutzprogramm herauszunehmen, ist normalerweise keine Frage, über die man lange nachdenkt”, erklären die Tierärzte Frank Göritz vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung und Stephen Ngulu von Ol Pejeta Conservancy. “Aber wenn ein einziges Individuum 50 Prozent der Population ausmacht, überdenkt man diese Entscheidung mehrmals, weil sie erhebliche Auswirkungen auf die Aussichten des Schutzprogramms haben könnte.”
Den Ausschlag dafür gab die Abwägung von ethischen Bedenken bezüglich des Wohlergehens der Nashornkuh gegenüber dem Interesse des Artenschutzes. “Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass wir die Grenzen des Machbaren im Naturschutz ausreizen und dies erfordert auch ein Nachdenken über ethische und moralische Konsequenzen”, sagt BioRescue-Projektleiter Thomas Hildebrandt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung. „Wir sind überzeugt, dass wir nichts tun sollten, was wir tun könnten, nur weil wir es eben können.” Najin soll als Repräsentantin ihrer Art und durch die Weitergabe von sozialem Wissen an zukünftige Nachkommen ein wichtiger Teil der Mission bleiben.
Stammzell-Technik als zweites Standbein
Damit steht dem Programm zur Rettung des Nördlichen Btreitmaulnashorns noch ein Weibchen zur Verfügung, das Eizellen liefern kann: Najins Tochter Fatu. Sie soll weiterhin Eizellen liefern, zusätzlich aber setzen die Wissenschaftler des BioRescue-Projekts auf stammzellbasierte Techniken: Aus frisch entnommenem oder eingefrorenem Gewebe von Sudan, Najin und Fatu, beispielsweise einigen Hautzellen, lassen sich im Labor durch eine Art genetisches Umprogrammieren induzierte pluripotente Stammzellen züchten.
Diese dadurch auf den embryonalen Zustand zurückgesetzten Zellen könnten dann dafür genutzt werden, Eizellen und Spermien zu züchten. Zwar stehen solche stammzellbasierten Techniken noch am Anfang, was die Nashornreproduktion betrifft, die Wissenschaftler hoffen aber, dass sie damit eine weitere Chance für die Rettung der Nördlichen Breitmaulnashörner haben.
Quelle: Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)