Die Schlussfolgerungen der Forscher um Andrew Bremner von der University of London basieren auf einem zunächst seltsam wirkenden Zusammenhang: Wenn Erwachsene ihre Hände oder Füße überkreuzen, haben sie eher Schwierigkeiten, Berührungen an den Gliedmaßen korrekt zu lokalisieren: In dieser ungewöhnlichen Stellung machen sie häufiger Fehler bei der Beurteilung ob eine Berührung links oder rechts erfolgte. Als Ursache dieses Phänomens gilt, dass wir anhand von Seheindrücken im Laufe unserer frühen Entwicklung ein räumliches Konzept unseres Körpers entwickeln, das unsere Wahrnehmungen prägt. Experimente mit von Geburt an blinden Menschen haben in diesem Zusammenhang interessanterweise gezeigt, dass sie die typischen Zuordnungsprobleme bei Berührungen mit überkreuzten Beinen nicht haben.
Jüngere Babys machen weniger Fehler
Bremner und seine Kollegen wollten nun herausfinden, in welcher Entwicklungsphase sich die Grundlagen dieser Wahrnehmungsphänomene herausbilden. Dazu führten sie Versuche mit Säuglingen im Alter zwischen vier und sechs Monaten durch. Sie verabreichten den kleinen Probanden mit einem Gerät Vibrationen an den Füßen. Bei der einen Variante waren die Beine der Kinder parallel zueinander bei der anderen über Kreuz. Auf welcher Seite das Baby die Berührung wahrgenommen hatte, zeigte sich den Forschern zufolge an typischen Wackelbewegungen, die das Kind mit dem jeweiligen Beinchen vollführte.
Ergebnis: Die sechs Monate alten Kinder zeigten die für Erwachsene typischen Fehlinterpretationen bei überkreuzten Beinen – sie wackelten nach der Stimulation vergleichsweise oft mit dem falschen Füßchen. Die vier Monate alten Babys lagen im Vergleich dazu deutlich häufiger richtig. Mit anderen Worten: Sie besitzen bessere Fähigkeiten bei überkreuzten Beinen eine Berührung dem jeweiligen Körperteil korrekt zuzuordnen.
Neugeborene nehmen Berührungen noch pur wahr
Die Forscher interpretieren das Ergebnis so: Offenbar nehmen Neugeborene bis zum Alter von etwa vier Monaten Berührungen noch gleichsam pur wahr und setzten sie nicht in einen Zusammenhang mit räumlich-körperlichen Erfahrungen, die durch Sinneseindrücke geprägt sind. “Für mich hört sich das nach einer sehr fremdartigen Erfahrungswelt an – Berührungen scheinen noch komplett von anderen Sinneseindrücken losgelöst”, sagt Bremner. In weiteren Untersuchungen wollen er und seine Kollegen nun der Frage nachgehen, wie und warum Neugeborene eine räumliche Empfindung ihrer selbst entwickeln.